Künstliche Intelligenzen sind manchmal ganz schön beschränkt. Foto: Fotolia

Bei der Lösung sozialer Probleme ist die moderne Informationstechnik schnell überfordert. Am Ende müssen halt doch wieder die Menschen ran.

Stuttgart - An immer mehr Stellen werden inzwischen Algorithmen auf uns losgelassen. Grobe Schnitzer wie maschinell grotesk übersetzte Spam-Mails („Gratulierung!!!“) zeigen jedoch, dass der vollautomatischen Geistesverarbeitung noch Grenzen gesetzt sind. Aber Algorithmen lernen nun, wie man lernt: Sie werden künstlich intelligent. Während ich vor Kurzem noch angeblich von Ikea an mich gerichtete Werbung sofort enttarnen konnte, da ich in der Betreffzeile gesiezt wurde, tauchen jetzt bereits die ersten Botschaften per Du auf.

Gewissermaßen transparenter zeigt sich diese digitale Wandlung am Beispiel der amerikanischen Dessous-Firma Cosabella, die anstelle ihrer bisherigen Marketing-Agentur nunmehr einen künstlich intelligenten Agenten namens „Albert“ zum Einsatz bringt. Er wickelt Werbung und Vermarktung sowohl analog als auch auf vernetzten Plattformen automatisch ab. Die dazu kompatible Idee, die Nutzer einer Dienstleistung selbst dafür arbeiten zu lassen, hat sich gleichfalls weiterentwickelt. Wurden Bankkunden ursprünglich mit der Verheißung, das sei doch viel bequemer, als in die Filiale zu laufen, ins Online-Banking gelockt, so zeigt sich inzwischen, dass man als selbst buchender, unbezahlter Mitarbeiter zum einen Bankangestellte arbeitslos macht und zum anderen noch Gebühren dafür entrichten soll – die technische Infrastruktur sei so kostspielig.

Geschäftsidee von Tom Sawyer

Die Geschäftsidee entstammt Mark Twains Grundlagenwerk „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“, worin Tom von Tante Polly den Auftrag erhält, den Gartenzaun neu zu streichen. Einem gewissen Unwillen begegnet er mit der Strategie, seinen Spielkameraden die Arbeit als eine exklusive, streng limitierte Sache schmackhaft zu machen. Am Ende lässt er sich fürstlich – unter anderem mit einer toten Ratte, Murmeln und farbigen Glasscherben – dafür bezahlen, dass die anderen für ihn den Zaun streichen dürfen.

Ohne einen Tom Sawyer daneben scheinen die künstlich-fachidiotischen Automatisierungsvorgänge in den Rechenzentren der vernetzten Welt aber doch noch nicht so recht zu funktionieren. Ein Bericht der britischen „Times“, demzufolge sich auf Youtube in den Videos von Extremisten algorithmisch platzierte Werbespots für harmlose Produkte fanden, alarmierte Media-Agenturen überall auf der Welt. Google erlebte einen drastischen Rückgang an Anzeigenbuchungen und versprach, umgehend Abhilfe zu schaffen. An die 10 000 menschliche Kontrolleure, sogenannte „Rater“, sitzen nun für Google vor den Bildschirmen und bewerten, was da zu sehen ist.

Soziale Netzwerke unter Druck

Soziale Netzwerke, allen voran Facebook, stehen aus ähnlichen, aber menschgemachten Gründen weiterhin unter Druck. Die US-Interpretation von Meinungsfreiheit global durchsetzen zu wollen erweist sich als kultureller Kollisionskurs. So verstoßen in Deutschland hetzerische Kommentare und Naziparolen schon aus historischen Gründen gegen das Gesetz. Dessen neueste Erweiterung mit dem schönen Namen Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll Facebook unter forcierten Handlungszwang setzen. Mark Zuckerberg bringt das in eine Zwickmühle. Eine zügig kontrollierende Facebook-Administration handelt sich ebenso schnell den Vorwurf ein, Zensur auszuüben. Werden neue Kontrolleure angestellt, kostet das zudem unerwünscht viel Geld. Software will keine Gehaltserhöhung und arbeitet 24 Stunden am Tag. Eigentlich wurde Facebook als algorithmisch beaufsichtigter Erwachsenenkindergarten angelegt. Aber jetzt wird’s ernst.

Mehr von Peter Glaser:

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.glasers-perlen-der-fluch-der-zuvielisation.12d67787-93c6-44c1-9aa5-b46eb4f71a24.html