Schon vor über 100 Jahren war Leonhardsviertel die „Altstadt“. Die Karte mit Zeichnungen von Karl Fuchs ist 1897 beschrieben worden. Vor der Kirche befand sich ein Trödelmarkt. Foto: Sammlung Wolfgang Müller

Ein Chronist im Malerkittel hat vor über 100 Jahren Stuttgarts schönste Seiten liebevoll in Aquarell-Art herausgestellt. In unserem Stuttgart-Album sind einige Kunstwerke zu sehen.

Stuttgart - „Madame! Meine Geburtsstadt ist doch hübsch und malerisch.“ Auf der Vorderseite einer Postkarte hat ein „ganz ergebener“ Absender dieses Lob auf die Heimat am 9. August 1897 geschrieben. Zu sehen sind unter anderem der Stuttgarter Marktplatz mit dem Vorgängerbau des aus heutiger Sicht alten Rathauses, die Hospitalkirche und zwei schön geschlungene Brezeln.

Dass so faszinierende Ansichten aus der schwäbischen Stadt um die Welt gehen konnten, ist einem Künstler zu verdanken, der von 1872 bis 1969 gelebt hat: Karl Fuchs hat in seiner frühen Schaffenszeit Postkartenmotive als Einnahmequelle in Aquarellmanier gestaltet und stets mit „K. Fuchs“ signiert, oft im Auftrag der Stuttgarter Hofbuchdruckerei Greiner & Pfeiffer.

Trödelmarkt vor der Leonhardskirche

Wolfgang Müller, der Vorsitzende der Initiativgruppe Stadtgeschichte, ohne den es das Stadtpalais nicht geben würde, sammelt gezeichnete, meist in der Lithografie-Technik hergestellte Kartenschätze. Unserem Stuttgart-Album hat er kleine Kunstwerke anvertraut, damit sich noch mehr Menschen daran erfreuen können – an Plätzen, die heute völlig anders gestaltet oder mit dieser Architektur nicht mehr vorhanden sind.

Durch das Leonhardsviertel führte keine Stadtautobahn, die das Quartier auseinanderreißt. Auf der 1897 beschriebenen Karte aus der „Altstadt“, wie das Leonhardsviertel damals schon hieß, sieht man vor der Kirche einen Trödelmarkt, den es nach alten Aufzeichnungen bis 1910 gegeben hat.

Im Facebook-Forum unseres Stuttgart-Albums schreibt Gisela Salzer-Bothe zu dieser Karte: „Die Kamine rauchen! Da würde man heute in Feinstaubpanik verfallen. Aber damals hat der Schornstein noch geraucht, denn die alten Herde wurden halt mit Feuer angemacht. Man kochte darauf – oder aber auch mit Gas.“ Ein Schmuckstück aus der Sammlung von Wolfgang Müller ist die (ebenfalls von Fuchs gezeichnete) Speisekarte vom „Königsbau-Theater“, wie das seinerzeit von der Familie Männer geführte Königsbau-Café hieß. Im Angebot um 1900 waren unter anderem acht verschiedene Sulzen, Hummersalat und Mortadella di Bologna. Auch als „Café Männer“, benannt nach dem Betreiber, ist der damals bei Künstlern, Tänzern und Journalisten beliebte Treff bekannt geworden. Die Erinnerung eines Zeitzeugen steht im Buch „Die Königstraße“: „Eifrig walteten die Ober Karl und Otto – der eine mollig, der andere schlank – ihres Amtes. Sie kannten so viele Gäste schon so lange, dass sie genau wusste, welche Zeitung sie wem bringen mussten.“

Bis 1906 war die Lithografie bei Karten weit verbreitet

Bis 1906 war die Lithografie bei Karten weit verbreitet, ehe sich Fotografien durchsetzten. Für Erstere werden Bilder seitenverkehrt mit Fetttusche auf den Kalkstein gezeichnet. Diese werden sodann mit Ätzflüssigkeit behandelt. An den Stellen, wo sich keine Zeichnung befindet, dringt die Flüssigkeit in die Poren des Steins ein. So bleibt später unter hohem Druck die Farbe nur an den gezeichneten Linien.

Diskutieren Sie mit unter www.facebook.com/Album.Stuttgart. Im Sutton-Verlag ist jetzt das Buch „ Das Beste aus dem Stuttgart-Album“ erschienen.