Nach einer Schlägerei in der Stadtbahn hat die Polizei nur wenige Hinweise erhalten. Foto: Lg/Kovalenko

Menschen in Not zu helfen ist Pflicht. Auch Hinweise zu geben ist eine Bürgerpflicht, meint die Polizeireporterin Christine Bilger.

Stuttgart - Sie hätten jeden von uns treffen können, die Faustschläge der jungen Männer in der Stadtbahn. Denn jeder hätte sich einmischen sollen, wenn eine Frau von jungen Flegeln angepöbelt wird. Das ist eine Bürgerpflicht. Getroffen hat es aber nur einen – im beginnenden Berufsverkehr am Dienstagnachmittag hat sich nur ein Mensch gefunden, der den Mumm hatte, der Frau zur Seite zu stehen.

Wer da jetzt fragt: „Warum hat er sich auch einmischen müssen, selber schuld?“ begeht einen schweren Denkfehler. Denn die Schuldfrage stellt sich genau andersrum. Das Gesetz bestraft jene, die nicht eingreifen. Unterlassene Hilfeleistung wird im Paragrafen 323 c des Strafgesetzbuches sanktioniert. Wer nicht eingreift, macht sich schuldig. Dabei lässt der Gesetzestext nicht unerwähnt, dass das Einschreiten zumutbar sein muss und man sich nicht selbst in Gefahr bringen muss.

Der Fall ist ein Lehrbeispiel: Oft melden sich nur wenige Zeugen

Im vorliegenden Fall ist niemandem ein Vorwurf zu machen. Dass die Männer zuschlagen würden, kann man nicht ahnen. Die Schlägerei spielte sich danach in Sekundenschnelle ab, die Täter flüchteten an der nächsten Haltestelle. Sich so schnell mit anderen Passagieren zu vernetzen und sich als Gruppe den Angreifern in den Weg zu stellen, ist wahrlich nicht auf Anhieb möglich.

Der Fall ist vielmehr ein Lehrbeispiel dafür, was die Umstehenden versäumt haben: Der Polizei liegen keine guten Beschreibungen der Männer vor. Sie bittet dringend um weitere Zeugenaussagen. Niemand muss den Helden geben. Aber die Augen offen haben, von sich aus zu den Ermittlern gehen und Angaben machen, einen Notruf absetzen, auch das ist Zivilcourage. Auch daran mangelt es oft. Das Opfer musste nach der Tat selbst die Polizei rufen, Hinweise liegen bisher nur wenige vor. Zu viele haben wohl weggeschaut.