Ob in der Kirche oder bei der Probe: gemeinsames Singen Foto: dpa//Fredrik von Erichsen

Das coronabedingte Singverbot bei Gottesdiensten stellt auch auf den Fildern Gemeindemit­glieder vor neue Herausforderungen. Während die einen sehr emotional reagieren, erfinden andere stille Varianten des Liederlebens

Stuttgart - Friseure dürfen wieder Haare schneiden, Kellnern ist es erlaubt, Schnitzel an Tische zu tragen, und Piloten dürfen Reisende zumindest innerhalb Europas wieder öfter befördern. Doch die Disziplin Singen liegt coronabedingt weitgehend brach: Popstars dürfen nur vor Autos oder im Internet auftreten, aber nicht live vor Publikum. Fußballfans ist es untersagt, gemeinsam zu grölen, und Gottesdienst-Besucher dürfen nicht miteinander singen. Schuld sind Aerosole, die gegebenenfalls infektiösen Gemische aus Schwebeteilchen, die Viren enthalten und Mitsänger anstecken können. Auch auf die Gottesdienste auf den Fildern hat das Verbot Auswirkungen.

Laut Leonhard Völlm, dem Kantor der Martinskantorei, dem größten Chor der evangelischen Kirchengemeinde Möhringen und Fasanenhof, komme zwar während einer ohnehin zum Zuhören gedachten Aufführung im Rahmen eines Gottesdienstes, etwa einer Solokantate, „durchaus fröhliche Zuhörstimmung auf“. An Stellen, wo vor der Pandemie üblicherweise gemeinsam gesungen wurde, aber nun der Kantor per Orgel oder Klavier nur sich selbst begleitet, entstehe jedoch ein Vakuum: „Die Gemeindemitglieder wollen, aber sie dürfen nicht.“

Mit Resten wuchern

„Da fließen auch Tränen“, berichtet Leonhard Völlm. Das passive Zuhören statt des gewohnten aktiven Mitsingens löse bei den Gemeindemitgliedern zwar nostalgische Gefühle aus – „aber es bleibt ein Abklatsch“. Viele Gemeindemitglieder würden deshalb fragen: „Wann dürfen wir wieder?“ Er antworte, dass er es selbst nicht wisse, aber dass diesbezüglich fortwährend überlegt werde. Und dass ihm das gemeinsame Singen auch fehle. „Sich einfach darüber hinwegzusetzen, geht ja nicht, und in der Krise darf man nicht schleckig sein.“ Neulich habe er einem Besucher also von dem einarmigen ehemaligen Filderkantor Emil Kübler erzählt: „Er verstand es, mit Resten zu wuchern.“

Weitaus gelassener sehen die Situation offenbar die Kirchenbesucher bei Thomas Vogel, dem Pfarrer der beiden katholischen Kirchen St. Stephanus und Liebfrauen in Filderstadt: „Zunächst war das Nicht-Singen-Dürfen gewöhnungsbedürftig, weil Gesang einfach zum Gottesdienst gehört“, erzählt er. „Aber dann habe ich festgestellt, dass die Leute das sehr entspannt wahrnehmen.“

Abstand halten statt zusammenrufen

Vieles habe sich ja in der Pandemie grundlegend geändert: „Bis Mitte März ging es ums Zusammenrufen, jetzt müssen wir gucken, dass Abstand gehalten wird.“ Gemeinschaftsstiftende Elemente wie der Friedensgruß per Handschütteln seien bereits Ende Februar eingestellt worden. „Emotionale Elemente entfallen, aber die soziale Komponente bleibt“, sagt Vogel. Auch bei ihm wird „stellvertretendes Singen“ praktiziert. Der Kantor oder er selbst singen die Lieder. „Ich sing dann halt im Kopf mit“, habe ihm neulich eine Gläubige gesagt.

Weltliche Sänger auf den Fildern behelfen sich unterdessen auf ihre Weise: Der normalerweise in Stuttgart-Heumaden probende Onnen Chor hat ein mit schwelgerischer Chormusik unterlegtes Video unter dem Motto „Wir bleiben dran“ produziert, das mehrere Mitglieder beim Rasieren und Studieren zeigt – gewissermaßen als Probenvorbereitung. Und der Gitarrist Andreas Vockrodt aus Leinfelden-Echterdingen ist mit seiner Band Partyblues neulich bei einer Firmenfeier aufgetreten, aber anders als vor der Pandemie: Die Band spielte vor einer Kamera, das Konzert wurde per Zoom in die Firma übertragen. „Man weiß zwar, dass die Leute irgendwo sind und feiern wollen“, erzählt Vockrodt, „aber die Kommunikation, die Live-Atmosphäre ja ausmacht, findet nicht statt“.