Neben Gebetbüchern, Kalendern und Briefen wurde in Freudental auch dieser Tora-Wimpel gefunden. Foto: Ehemalige Synagoge Freudental/Nina Hofmann

Judaistik-Professor Andreas Lehnardt von der Johannes Gutenberg Universität in Mainz erzählt im Interview, warum der Genisa-Fund in Freudental etwas ganz Besonderes ist

Freudental - Bereits 1981 wurde in Freudental eine spektakuläre Entdeckung gemacht. Nun haben Wissenschaftler die Funde untersucht und eingeordnet.

Herr Lehnardt, für alle jene, die sich nicht so gut mit dem Judentum auskennen wie Sie, erklären Sie doch einmal, was eine Genisa ist.

Eine Genisa ist ein traditioneller Lagerraum für gebrauchte religiöse Gegenstände und liturgische Schriften. Die jüdischen Bräuche erlauben es nicht, dass sie einfach im Altpapier entsorgt werden. Da ist die Ehrfurcht vor dem Heiligen und der Religion einfach zu groß.

In Freudental hat man die Schriften bereits 1981 unter dem Dach gefunden. Warum wurden sie jetzt erst untersucht?

Nach dem Fund wurden die Stücke nur kurz untersucht, einige bedeutende Funde sind seitdem auch in der Ausstellung auf der Frauenempore zu sehen gewesen. Mein Team und ich haben jetzt alles an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz identifiziert und katalogisiert. Das Projekt wurde von der Rothschild Foundation in London gefördert.

Wie lang hat die Arbeit gedauert?

Drei Jahre. Es waren heiße Sommer für meine Mitarbeiter.

Und was genau enthielt die Genisa?

Das sind unzählige Schriften, teilweise auch nur winzige Schnipsel. Es wurden zum Beispiel alte Textilien und einige sehr schöne Tora-Wimpel gefunden. Unter den Fundstücken befinden sich Schriften ab dem 17. Jahrhundert bis in das 19.

Kennen Sie vergleichbare Funde?

Für Süddeutschland ist es ein besonderer Fund. Wir kennen ähnliche Sammlungen beispielsweise aus Franken, aber im Kreis Ludwigsburg gab es so etwas zuvor nicht.

Warum?

Viele Synagogen wurden zerstört, dann gab es im 19. Jahrhundert die Landflucht – und viele jüdische Gotteshäuser sind inzwischen auch verkauft. In Freudental wurde die Synagoge zwar 1938 geplündert, aber nicht angezündet, weil die Bebauung dort zu dicht war. Häufig ist es bei solchen Funden auch einfach der Zufall, der hilft. In Freudental wurden die Stücke auf dem Dachboden in einer Ecke gefunden, teilweise waren die Schriften unter den Balken gelagert. Man hat sie entdeckt, als das Dach neu gedeckt wurde.

Ist es normal, dass die Schriften noch so gut erhalten sind, wenn sie einfach unter dem Dach liegen?

Nein, in Freudental sind sie schon sehr viel besser erhalten als anderswo. Ich mache immer den Scherz, dass die Mäuse dort wahrscheinlich gut Hebräisch lesen konnten. Aber es sah dort schon so aus, als hätte man die Kehrwoche nicht vernachlässigt.

Was werden Sie den Zuhörern bei ihrem Vortrag am Sonntag präsentieren?

Ich werde einfach ein paar besondere Texte vortragen, schöne Erzählungen und Fabeln. Wir wollen einfach ein bisschen in die jüdische Literatur rein schmökern.