Vor dem Alkoholverbot: Eine Frauengruppe aus Neumünster trinkt aus einem Eimer am Strand von S’Arenal. Foto: dpa

Der Ballermann auf Mallorca ist nicht nur ein geografischer Ort auf der spanischen Insel Mallorca, sondern ein Mythos, eine Marke, ein Event, sagt der Soziologe Sacha Szabo. Bloß der ewige Karneval – das sei der Ballermann inzwischen nicht mehr.

Palma de Mallorca - Der Ballermann ist noch immer eins der beliebtesten Ziele deutscher Mallorca-Urlauber – und zugleich das Sorgenkind der Insel. Die Regierung will weg vom Sauf- und hin zum Natur- und Gourmettourismus. Der Freiburger Soziologe Sacha Szabo, 48, verfolgt den Strukturwandel mit Sorge. Er hat das Phänomen Ballermann wissenschaftlich analysiert.

Herr Szabo, Mallorcas Regierung hat gerade ein Alkoholverbot in Ferienfliegern und auf dem Flughafen von Palma verhängt. Ist das der Anfang vom Ende des Ballermanns?
Nein, das glaube ich nicht. Der Ballermann auf Mallorca ist ein Ort, an dem der Alltag ein wenig vergessen wird und der Rausch zugelassen ist. Dieser Ort ist klar abgegrenzt. Zwei Straßen entfernt von der Bierstraße oder der Schinkenstraße – schon hat man eine andere Atmosphäre. Der Flughafen ist noch weiter weg, hat also mit dem Ballermann eigentlich gar nichts mehr zu tun. Ich denke, das Verbot ist ein PR-Stunt. Zugleich finde ich solche Grenzziehungen logisch und zweckmäßig. Aber der Ballermann auf Mallorca hat sich verändert, er ist nicht mehr das, was er mal war.
Warum war?
Der Ballermann auf Mallorca war ja immer so etwas wie ein nicht enden wollender Karneval. Typisch für ihn war ein anarchisches Lebensgefühl. Das ist ein bisschen verloren gegangen. Der Karneval wurde institutionalisiert und wird seit Jahren durch Verbote reglementiert.
Weg vom spontanen Besäufnis, hin zum geplanten Saufkoma?
Das ist ein bisschen zugespitzt – aber es stimmt. Früher kamen die Leute nach S’Arenal, um mal über die Stränge zu schlagen. Heute suchen sie dort ein Gefühl, das es so gar nicht mehr gibt. Das Erlebnis wurde reglementiert. Es ist jetzt ein Mythos. Aus Kummer darüber betrinken sich die Besucher. Das hat aber nichts mehr mit dem früheren Spaß zu tun. Es wird getrunken, als ob es Arbeit wäre.

„Der Eimer hatte eine symbolische Bedeutung“

Aus dem Fünf-Liter-Eimer?
Den gibt es leider nicht mehr. Man darf am Strand keinen Alkoholmehr trinken. Der Eimer wurde schon vor ein paar Jahren verboten. Dabei mochte ich den sehr gerne. Der hat eine große symbolische Bedeutung.
Welche Bedeutung hatte der Eimer?
Es ist ein Gefäß, aus dem man mit anderen Menschen zusammen Brüderschaft trinkt. Das hat etwas von einer Kommunion.
Interpretieren Sie da nicht zu viel hinein?
Nein, ich habe am Strand von Palma eine ganze Reihe religiöser Relikte entdeckt. Manche Touristen tragen Rosenkränze als modische Accessoires. Und der Megapark, eine der größten Discos der Insel, wurde der Ruine einer gotischen Kathedrale nachempfunden. Es gibt sogar ein Kirchenfenster mit den Motiven Hopfen und Malz.

Das Ballermann-typische Kleidungsstück: das Motto-T-Shirt

Was ist der Ballermann aus Ihrer Sicht? Ein Ort? Ein Event? Ein Mythos? Eine Marke?
Er ist von allem ein bisschen – aber vor allem eins: ein nicht enden wollendes Fest. Wie Karneval, bloß das ganze Jahr. Nach der Definition des russischen Kunsttheoretikers Michail Bachtin erfüllt er alle vier Kriterien, die einen Karneval ausmachen. Er verbrüdert Menschen. Er ebnet Standesunterschiede ein. Er verkehrt den Alltag in sein Gegenteil. Er fördert eine Art Gotteslästerung: Religiöse Rituale wie das Tragen von Rosenkränzen werden parodiert.
Sie haben die Verkleidung vergessen. Dreiviertelhose, Schießer-Feinripp und Tennissocken in Sandalen?
(Lacht) Wie gemein. Aber es gibt tatsächlich ein Ballermann-typisches Kleidungsstück: das Motto-T-Shirt. Und verrückte Kopfbedeckungen, wie man sie von Après-Ski-Partys kennt. Zum Beispiel regenbogenfarbene Perücken.
Die findet man auch auf den Ballermann-Partys, die jetzt auch in Deutschland gefeiert werden. Wie absurd ist das denn?
Das habe ich mich auch gefragt, als ich von so einer Party im Ruhrpott gehört habe. Ich glaube, es gibt keinen Ort in Deutschland, der weiter von Sonne, Sand und Palmen entfernt ist als das Ruhrgebiet. Aber das zeigt eben, dass der Ballermann mehr ist als nur ein Ort. Der Ballermann als Phänomen hat sich schon eine Weile von seinem geografischen Ursprung gelöst.

„Der Ballermann ist familientauglich geworden“

Sie haben ein Buch über den Ballermann geschrieben. Was macht die Partymeile für die Wissenschaft interessant?
Mich interessieren massenkulturelle Phänomene. Die ziehen Millionen Menschen an, aber keiner fragt sich: Warum gehören die zu unserem Alltag?
Ist der Ballermann-Urlauber heute noch derselbe wie in den 1990er Jahren?
Nein, da hat ein Generationswechsel stattgefunden. In den 90ern kamen überwiegend Kegelclubs und Gruppen, die dort eine Woche lang gefeiert haben. Diese wilden Partys wurden aber eingeschränkt. Der Ballermann ist familientauglich geworden. Aus der Kirmes wurde Disneyland . . .
. .  . in dem immer mehr reglementiert ist. Der Versuch, die Billigurlauber loszuwerden?
Was wir auf Mallorca gerade erleben, ist eine Gentrifizierung. Die Hotellerie versucht, die Billigurlauber upzugraden und eine Klientel anzusprechen, die sich mehr für Land und Leute interessiert. Dabei ist Mallorca eine Insel wie alle anderen: angenehmes Klima, schöne Strände. Das Besondere an ihr ist nun mal, auch wenn das manche nicht gerne hören, der Ballermann.
Und deswegen fahren Sie jedes Jahr hin?
Als Soziologe interessiert mich eben der Wandel. Aber natürlich kann man sich dort auch gut erholen. Meine Frau und ich steigen gerne in einem Hotel an der Grenze zur Playa Palma ab. Links geht es auf Forschungsexpedition in Richtung Bierstraße, rechts an den ruhigen Strand.