Heike Paulus auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Stille Nacht, Heilige Nacht. Einsame Nacht. Heike Paulus hat das selbst erlebt. Nun will sie Gastgeber und Gäste zusammenbringen, damit niemand alleine Weihnachten feiern muss.

Stuttgart - Sie lacht und lacht. Und erzählt dann eine traurige Geschichte. Über sich selbst. Mit 25 erkrankte Heike Paulus (30) an Brustkrebs, kaum genesen starb ihre Mutter. In jenem Jahr war auch „mein fröhliches rheinländisches Gemüt“ angeschlagen, erinnert sie sich. Am Heiligen Abend war ihr nicht nach Feiern zumute, zum Bruder und dessen damals hochschwangerer Freundin nach Köln wollte sie nicht. „Das fünfte Rad am Wagen zu sein, darauf hatte ich keine Lust.“ Insgeheim dachte sie: „Ich bin wahrscheinlich die einzige, die leidet.“ Einsam und allein am Heiligen Abend. Das sind doch vor allem alte Menschen, so der Irrglaube, und nicht Menschen, die mitten im Leben stehen. Da denke man automatisch: „Was ist falsch mit mir?“

Die Zeit der Ruhe, für manche die Zeit der Langeweile

Nichts. Das hat sie schnell gemerkt. Dank ihres Humors, ihrer großen Klappe geschult in Köln und ihrer Sopran-Stimme. In mehreren Chören singt sie, zuhause in Hedelfingen, aber auch anderswo in Deutschland. „Da wird man an Weihnachten immer gebraucht“, sagt sie und grinst. Jetzt wird sie an Heiligabend in Berlin singen, bei ihrem Freund, der aber mit Weihnachten gar nichts am Hut hat. „Er kann damit nichts anfangen“, sagt sie. Anders als sie. Sie mag das Fest, wenngleich nicht in seiner „kommerziellen Ausprägung“. Für sie brauche es keine teuren Geschenke. „Ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch, der sich über selbstgestrickte Socken freut: ich habe dauernd kalte Füße.“

Die Zeit der Ruhe, für manche die Zeit der Langeweile und Selbstzweifel. Weil die Angestellte in einer Rechtsanwaltskanzlei das selbst erlebt und durchlitten hat, will sie nun Gäste und Gastgeber mit Hilfe des sozialen Netzwerks Facebook verkuppeln. „Blind Dates haben ja irren Zulauf“, sagt sie, „da muss doch das erst recht an Weihnachten klappen.“ Natürlich geht es nicht um die große Liebe, es geht um Nähe, ums Aufgehobensein. Erstaunt war sie ob der Resonanz, dutzende Anfragen hat sie bekommen. Vornehmlich von Männern und Frauen zwischen 30 und 40. Menschen, die in der Region keine Familie haben; Menschen, die arbeiten müssen; Menschen, die keinen Partner haben; Menschen, die mit Weihnachten nichts anfangen können, aber trotzdem nicht alleine sein wollen.

Eine Guck ist eine Plastiktragetasche

Offenbar hat sie einen Nerv getroffen. Für viele Gruppen gibt es Weihnachtsfeiern, in evas Stall können sich Arme und Obdachlose treffen, für Senioren gibt es Feiern in Heimen oder etwa im Alten Feuerwehrhaus in Heslach. Für die Arbeitsnomaden und Singles im besten Alter allerdings fühlt sich keiner zuständig. Und es ist zugegeben in Stuttgart nicht einfach, Leute kennenzulernen. „Als ich von Köln hierhergezogen bin, habe ich mich schon gewundert“, sagt Heike Paulus, dort sitze man fünf Minuten in einer Kneipe, dann komme man ins Gespräch. Nach einigen Monaten kenne man jeden im Viertel. „Hier haben die Leute erst nicht mit mir geredet. Und wenn sie mit mir geredet habe, habe ich sie nicht verstanden.“ Das führte zu kulturellen Missverständnissen. Bei einem Einkauf in Schwäbisch Gmünd habe die Verkäuferin sie gefragt: Guck? „Ich habe gedacht: Klar ich guck. Was will die denn?“ Das wiederholte sich mehrmals, bis die Verkäuferin mit den Fingern ein Rechteck in die Luft malte und ganz langsam fragte: „Möchten Sie eine Plastiktragetasche?“

Mittlerweile versteht sie alles, und hat auch einen Zugang zur schwäbischen Seele gefunden. „Wenn man die Leute erst mal hat, dann darf man auch nachts um drei anrufen und nach Eiern fragen.“ Und sie sogar für eine Weihnachtsfeier vermitteln. Anfragen gibt es genug, allerdings fehlen noch Gastgeber. Klar, da ist die Hürde höher. Bisher hat sich nur die 27 Jahre alte Sarah aus Welzheim als Gastgeberin angeboten. Bis zu acht Leute lädt sie am zweiten Weihnachtsfeiertag zu Kaffee und Kuchen ein. Sie selbst hat Familie, aber weil sie weiß, dass es nicht selbstverständlich sei an Weihnachten nicht allein sein zu müssen, öffnet die Altenpflegerin ihre Wohnung.

Gastgeber werden noch gesucht

„Ich habe einige Anfragen von Gastgebern, aber keine weiteren Zusagen“, sagt Heike Paulus, „klar: Da ist die Hemmschwelle größer.“ Sie selbst telefoniert mit allen Gästen, und komme ihr jemand komisch vor, werde der umgehend von der Liste gestrichen. Der Gastgeber sucht natürlich die Gäste aus, man verabredet dann, was man macht: kochen, spazierengehen, spielen, Film gucken, Weihnachtslieder singen. Und wer was zahlt oder vorbereitet. Einer muss beispielsweise zu Sarah eine Thermoskanne mit Kaffee mitbringen, sie hat keine Kaffeemaschine.

Manche allerdings haben die Sache mit dem Fest der Liebe falsch verstanden. Einer hat per E-Mail gefragt, „ob ich einen Weihnachtssondertarif nehme“. Andere wiederum haben eine so eingeschränkte Weltsicht, dass sie sogar die Heiligen Drei Könige des Landes verweisen würden. Heike Paulus: „Es gibt allen Ernstes Leute, die schreiben: War ja klar, dass es nur um Flüchtlinge geht.“ Einer hat sie via Mail angepampt, anonym natürlich: „Du machst nichts für Deutsche!“ Sie hat zurückgeschrieben: Gute Idee. Mach!

Sie ist ein „überzeugter Gutmensch“

Sie macht. Was manche Menschen erstaunt. Deshalb wird sie nicht selten gefragt: „Was hast Du davon? Warum machst Du das?“ Ihre Antwort: „Ich freue mich, wenn ich dazu beitragen kann, wenn sich Menschen begegnen und Spaß haben.“ Außerdem sammle sie so „Karmapunkte“. Zudem sei sie ein ganz „überzeugter Gutmensch“. Und auch noch stolz darauf, sagt sie. Dann muss sie wieder lachen.