Klimaschützer fordern von der EZB mehr Rücksicht auf Umweltbelange. Foto: dpa/Boris Roessler

Notenbankchefin Christine Lagarde will Klimaschützern entgegenkommen. Im Dialog mit Nichtregierungsorganisationen wirbt sie außerdem um Verständnis für die umstrittene Niedrigzinspolitik der EZB.

Frankfurt - Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte nach Ansicht ihrer Präsidentin Christine Lagarde bei Anleihekäufen künftig Klimarisiken berücksichtigen. In einer Online-Diskussion mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen stellte sie das bislang verfolgte Prinzip der Marktneutralität infrage: „Wenn der Markt Risiken nicht angemessen bepreist, sollten wir ihm dann folgen?“, fragte die Französin.

Zugleich betonte Lagarde, die EZB selbst könne die Einschätzung von Klimarisiken nicht übernehmen. Sie könnte sich aber auf ein von der EU aufgestelltes Klassifikationssystem für die Nachhaltigkeit von Wirtschaftsaktivitäten stützen, das 2022 in Kraft treten soll.

Bislang richtet sich die EZB nach dem Branchenmix am Markt

Der Hintergrund: Die EZB kauft seit 2015 im großen Stil Anleihen, also Schuldtitel von Staaten und Unternehmen. Nach dem Ausbruch der Corona-Krise wurde das billionenschwere Programm noch einmal aufgestockt, um eine Kreditklemme zu vermeiden. Bezogen auf die Unternehmensanleihen kritisieren Umweltschützer, dass diese überwiegend aus Branchen mit einem hohen Ausstoß an Treibhausgasen stammten.

Laut einer Studie, die am Dienstag von Greenpeace und drei britischen Universitäten veröffentlicht wurde, entfielen Ende Juli rund 60 Prozent der von der Notenbank gehaltenen Unternehmensanleihen auf klimaschädliche Branchen. Die EZB argumentiert, ihr Portfolio spiegele die Branchenverteilung auf dem Anleihemarkt und sei damit marktneutral. Lagarde sprach sich nun deutlich dafür aus, „Marktversagen zu korrigieren“. Allerdings bestehe darüber im EZB-Rat bislang keine Einigkeit.

Kritik an niedrigen Zinsen

Das oberste Entscheidungsgremium der Notenbank diskutiert seit einigen Monaten über Änderungen seiner geldpolitischen Strategie. In diesem Zusammenhang wurden nun erstmals Nichtregierungsorganisationen angehört. Neben Umweltschützern äußerten sich in der Videokonferenz auch Vertreter von sozialen Organisationen sowie Vereinen, die für eine Reform des Finanzsystems eintreten. Die EZB hatte rund 70 Organisationen eingeladen, von denen sich allerdings nur zwei Dutzend anmeldeten.

Guillaume Prache von der Better Finance, einem europäischen Dachverband für Anlegerschutz, kritisierte die niedrigen Zinsen: „Die EZB stellt die kurzfristigen Interessen der Finanzwirtschaft über die der Sparer.“ Dagegen forderte Luca Visentini vom Europäischen Gewerkschaftsbund ETUC, die Notenbank müsse weiter Geld in die Wirtschaft pumpen, um die Konjunktur anzukurbeln und staatliche Investitionen zu unterstützen.

Einigen tut die EZB zu wenig, anderen zu viel

Auch Lagarde und ihr Chefvolkswirt Philip Lane betonten, die niedrigen Zinsen erleichterten den Eurostaaten die Finanzierung der Hilfsprogramme zur Bewältigung der Corona-Krise. Zugleich verwiesen sie darauf, dass die EZB sich auf ihre Hauptaufgabe – die Wahrung von Preisstabilität – konzentrieren müsse. „Ich kann nicht die Finanzministerien dieser Welt ersetzen“, sagte Lagarde.

Mit dem billionenschweren Kauf von Staatsanleihen hat die Notenbank ihr Mandat nach Ansicht vieler Kritiker bereits weit überschritten. Umstritten ist zudem, inwieweit das Programm der Realwirtschaft zugutekommt. Die EZB kauft die Anleihen von Banken und anderen Investoren, der damit einhergehende Zinsrückgang nützt allerdings auch den Schuldnern selbst.