Die Börsen befinden sich wegen der Corona-Pandemie seit Wochen im Ausnahmezustand. Foto: dpa/Frank May

Die Aktienmärkte rauschen seit Beginn der Corona-Krise nach unten. Ist das eine Chance zum Einstieg oder sollten Privatanleger eher die Finger von Wertpapieren lassen? Wir haben Experten gefragt.

Stuttgart - Ruft einer Feuer, stürmen alle gleichzeitig zum Ausgang, es wird eng, Panik bricht aus: Anders lässt sich das Geschehen an den globalen Finanzmärkten in Zeiten der Corona-Krise phasenweise kaum beschreiben. Investoren fürchten eine globale Wirtschaftskrise infolge der Epidemie. In der Konsequenz heißt das aber: Viele Aktien sind derzeit günstig. Darum stellt sich für Privatanleger und Börsen-Neulinge die Frage: Lohnt es sich gerade jetzt in Zeiten absackender Kurse, Geld in Aktien oder ETFs zu investieren?

„Grundsätzlich ist die Möglichkeit, Aktien von gut aufgestellten Unternehmen mit funktionierenden Geschäftsmodellen preiswert zu kaufen, natürlich vor allem in Krisenzeiten gegeben“, sagt Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Andererseits sei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ansatzweise prognostizierbar, wie tiefgreifend die Folgen der Corona-Pandemie in den einzelnen Branchen tatsächlich sein werden.

Zwei Börsenweisheiten prallen aufeinander

Dem Finanzexperten zufolge prallen aktuell zwei alte Börsenweisheiten aufeinander: Kaufe, wenn die Kanonen donnern – also dann, wenn die Krise und die Panik am größten sind. Sowie das ganz gegensätzliche Credo: Greife nie in ein fallendes Messer. Sprich: Fallende Kurse können auch noch weiter fallen. Deswegen sollten sich Anleger von dem Gedanken lösen, den niedrigsten Stand des Marktes zu erwischen.

Diese Einschätzung teilt auch Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die Frage nach dem perfekten Zeitpunkt für den Einstieg in Aktien und Co. werde in der wöchentlichen Online-Sprechstunde der Verbraucherzentrale zum Börsencrash derzeit am häufigsten gestellt. Die Antwort des Experten lautet: „Niemand kann wissen, wo die Börsen in ein paar Wochen oder Monaten stehen.“ Doch mit Blick auf die Vergangenheit sagt der Verbraucherschützer: „Was wir aus den letzten hundert Jahren wissen ist, dass nach jedem Crash immer auch neue Höchststände folgten. Mal dauerte es wenige Jahre, mal zehn oder auch 15 Jahre.“

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Auch der Münchner Vermögensverwalter und Bestseller-Autor Gerd Kommer ist zuversichtlich, dass sich die Börsenkurse nach dem Corona-Crash wieder erholen werden. Seine Rechnung: Nach den sechs größten Aktien-Crashs in den letzten 120 Jahren – definiert als Einbrüche von inflationsbereinigt mindestens 45 Prozent – seien die Aktienkurse in den 24 Monaten nach dem Tiefpunkt um kumulativ etwa 75 Prozent und über die 60 Monate nach dem Tiefpunkt um etwa 140 Prozent gestiegen. „Der Tiefpunkt wurden in diesen sechs Börsenkrisen durchschnittlich nach knapp drei Jahren erreicht, in manchen Fällen deutlich schneller, in manchen später.“ Dennoch könne niemand die Entwicklung von Aktienkursen – oder Wertpapierkursen im Allgemeinen – kurz- und mittelfristig zuverlässig vorhersagen. „Wer das behauptet, ist ein Scharlatan.“

Experten: Anlagestrategie wichtiger als Zeitpunkt

Für Anleger, die ihr Geld nicht nur kurzfristig investieren wollen, sondern über mehrere Jahre, werden sich in den kommenden Wochen weitere Kaufmöglichkeiten ergeben, ist sich DSW-Experte Kurz sicher. Statt auf den richtigen Zeitpunkt zu spekulieren, sollten sich potenzielle Investoren jedoch vielmehr Gedanken über ihre Anlagestrategie machen. „Wie soll das Depot zusammengesetzt sein? Welche Branchen sind von der Pandemie weniger betroffen und werden sich deshalb schneller erholen? Welche wurden vielleicht über Gebühr nach unten geprügelt? Und wie viel Risiko bin ich bereit zu tragen?“ Eher auf Sicherheit bedachte Anleger seien bei breit aufgestellten Indexfonds besser aufgestellt als bei Einzelaktien.

Seit Mitte April 2000 gibt es in Deutschland an der Börse gehandelte Indexfonds. Die Fonds – im Fachjargon Exchange Traded Funds (ETF) genannt – bilden die Wertentwicklung eines Index ab, wie zum Beispiel des Dax oder des MSCI World, der die Wertentwicklung von mehr als 1600 Unternehmen aus 23 Ländern abbildet. Bei klassischen Investmentfonds entscheiden Fondsmanager darüber, wie das Geld angelegt wird. Bei ETFs ist dies nicht notwendig, sie werden daher auch als passive Fonds bezeichnet. Es gibt nicht nur ETF auf Aktien, sondern unter anderem auch auf festverzinsliche Wertpapiere oder Rohstoffe.

Börsen-Crash als „Geschenk des Marktes“

Das passive Investieren in Indexfonds empfiehlt Finanzexperte Kommer seit vielen Jahren. Zugleich rät er Privatanlegern davon ab, in einzelne Aktien, einzelne Branchen und einzelne Länder zu investieren. „Viel klüger ist ein global gestreutes, also stark diversifiziertes Aktienportfolio. Das geht mit ETFs, also mit Aktienindexfonds, recht einfach“, sagte der Experte im Gespräch mit unserer Redaktion.

In seinen Finanzratgebern schreibt Kommer, dass ein Crash für junge Anleger und Sparer ein „Geschenk des Marktes“ sei kann. Der Experte empfiehlt Privatanlegern dabei allerdings, nicht hundert Prozent ihrer liquiden Anlagen in Aktien zu investieren, sondern ein diversifiziertes Portfolio aus Aktien und sicheren Anleihen oder alternativ einem Bankguthaben innerhalb der staatlichen Einlagensicherung aufzubauen.

Jungen Sparern und Privatanlegern empfiehlt der Experte: Bei einem Online-Broker oder einer Direktbank einen ETF-Fondsparplan auf einen weltweit diversifizierten Aktien-ETF einrichten „und monatlich, zweimonatlich oder vierteljährlich 100 Euro – oder mehr, wenn das geht – in einen solchen Aktien-ETF einsparen.“