Es gibt Masken, die den Blick auf die Lippen des Gesprächspartners erlauben. Der Stuttgarter Gehörlosen-Verein hat kürzlich 150 davon bestellt. Foto: afp/Agung Supriyanto

Menschen ohne Gehör haben schon in normalen Zeiten Mühe, sich mit anderen zu unterhalten. Die Corona-Krise mit ihrer Maskenpflicht verschärft die Situation zusätzlich. Betroffene aus Stuttgart erzählen, was das für sie bedeutet.

Vaihingen/Möhringen - Die Neumanns diskutieren in der Corona-Zeit weniger, sie fassen sich jetzt am liebsten kurz. Alles andere ist für sie zu anstrengend. Grund sind die Masken, die mittlerweile zum Alltag gehören. Das Ehepaar aus Möhringen ist stark schwerhörig. „Ohne Hörhilfen hören wir beide nichts“, sagt Dieter Neumann. Seine Frau habe ein Cochlea-Implantat, kurz CI; das ist eine Hörprothese. Ohne ihr CI wäre sie taub, sagt ihr Mann. Bei ihr ist das von Geburt an so, bei ihm wurde die Hörschädigung im Kindesalter festgestellt. „Mir müsste man schon fast ins Ohr sprechen, damit ich verstehen kann.“

Die Corona-Krise schiebt sie weiter ins Abseits

Sich mit Hörenden auszutauschen, die der Gebärdensprache nicht mächtig sind, ist schon in normalen Zeiten eine Herausforderung. Gehörlose Mütter und Väter brauchen zum Beispiel Dolmetscher, weil sie ansonsten beim Elternabend kein Wort verstehen. Gehörlose berichten immer wieder, dass sie meist in einer Art Parallelwelt zu den Hörenden leben, schlicht weil die Kommunikation nicht oder nur schwer klappt. Und jetzt die Corona-Krise. Einerseits sind Gehörlose sichtbarer geworden, denn kaum eine Nachrichtensendung oder Pressekonferenz im Fernsehen, wo nicht am Bildrand ein Gebärdensprachdolmetscher das Gesagte in Gesten übersetzt. Andererseits schiebt Corona die Gehörlosen noch weiter ins Abseits. Denn die Masken, die die meisten Menschen jetzt tragen, versperren ihnen den Blick auf die Lippen der anderen. Sie können nicht mehr ablesen, was gesprochen wird.

„Für meine Frau war Lippenlesen vor der CI-Operation sehr wichtig, jetzt benötigt sie das nur noch zur Unterstützung“, erzählt Dieter Neumann. Der Blick auf den Mund des Gesprächspartners helfe grundsätzlich immer, das Gesagte besser zu verstehen. Die Folge: „Wir gehen aufgrund der Masken keine Diskussionen mehr ein, sondern fassen uns kurz, insbesondere bei Einkäufen“, erzählt der Möhringer. „Nur im privaten Rahmen und mit Abstand können wir uns noch gut unterhalten.“ Alles andere koste sie zu viel Kraft, weil sie sich bei einem Gespräch mit einem Maskenträger sehr stark konzentrieren müssten.

Viel von der Leichtigkeit der Kommunikation gehe verloren

Die Maskenpflicht erschwert aber nicht nur den Plausch mit Hörenden, sondern auch unter Gehörlosen oder Schwerhörigen. „Man braucht neben Gesten der Gebärdensprache unbedingt auch die Mimik und das Mundbild dazu“, sagt Dieter Neumann. Nur das ganze Gesicht des Gegenübers helfe beim richtigen Verstehen. „Durch die allgemeine Pflicht des Tragens eines Mundschutzes geht also viel von der Leichtigkeit der Kommunikation für die Betroffenen verloren“, sagt Dieter Neumann.

Andreas Döhne ist der Vorsitzende des Schwerhörigen-Vereins Stuttgart mit Sitz in Vaihingen. Dass Masken nun immer mehr zum Alltag gehören, sei ein Thema im Verein, sagt er. „Mitglieder melden sich deshalb bei uns.“ Schwierig sei es vor allem für jene, die stark schwerhörig sind und für den Austausch mit anderen das Mundbild des Gesprächspartners bräuchten. Döhne rät den Mitgliedern, dem Gegenüber klarzumachen, dass sie wegen der Maske nichts oder nur wenig verstehen. „Die Leute reagieren dann meist verständnisvoll und ziehen die Maske kurz runter“, ist seine Erfahrung. Das gelte besonders für Ärzte.

Behindertenbeauftragter gibt Tipps

Reinhard Hackl, der Beauftragte für Behinderte im Landkreis Böblingen, hat jüngst ebenfalls öffentlich auf die schwierige Situation aufmerksam gemacht. Gehörlose würden beim Lippenablesen zwar auch nur etwa 30 Prozent des Gesagten verstehen, aber immerhin. Um die Lage für sie in Corona-Zeiten zu entschärfen, gibt er diese Tipps: Zettel und Stift verwenden, das Smartphone sowie Apps für Spracherkennungsprogramme nutzen.

Dieter Neumann aus Möhringen hat darüber hinaus noch einen anderen Vorschlag. Es gebe auch durchsichtige Masken aus einer starken Klarsichtfolie, sagt er. Und auch Andreas Döhne erzählt, dass der Schwerhörigen-Verein Stuttgart bereits 150 solcher transparenten Masken bestellt habe, zu einem Stückpreis von circa vier Euro. Mitglieder könnten die Masken beim Verein kaufen und sie ihren Gesprächspartnern überlassen.