Casper bei einem Konzert. Irgendwo, irgendwann. In Stuttgart waren keine Fotografen zugelassen. Foto: KEYSTONE

Das neue Album „Lang lebe der Tod“ ist Caspers Reifeprüfung. Am Dienstag spielte er ein Geheimkonzert in Stuttgart. Ein Treffen.

Stuttgart - Er ist gerade überall. Endlich ist vergangenen Freitag sein neues Album „Lang lebe der Tod“ erschienen. Es muss in diesem Fall tatsächlich „endlich“ heißen, weil die Veröffentlichung ursprünglich vor einem Jahr geplant war. Die erste, wuchtige Vorabsingle „Lang lebe der Tod“ mit Dagobert, Sizarr und der Legende Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten war schon draußen, die Fans gespannt, dann sagte Casper alles ab. „Ich hatte das Gefühl, dass da noch was fehlte“, sagt Casper, der eigentlich Benjamin Griffey heißt und 34 Jahre alt ist. Im Zweifel für den Zweifel. Das ist natürlich mutig, wenn man bedenkt, was für ein Wirtschaftsfaktor eine Casper-Platte für das Label bedeutet. Für den Künstler selbst aber war das eine „wahnsinnige Niederlage“. Er wollte ja nie etwas anderes machen außer Musik, träumte als Student in Bielefeld vom Künstlerdasein, von den großen Stadien. „Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich dachte: „Vielleicht ist das alles irgendwie nicht gut“. Dafür möchte ich von den Leuten keine 15 Euro verlangen. Das ist viel Geld.“

Mit „Alles ist erleuchtet“ beginnt das Konzert

Es ist Dienstagmittag. Casper spielt eine Geheimtour quer durch die Republik, tritt am Abend vor rund 1100 Fans auf der Freilichtbühne beim Mercedes-Benz-Museum auf. Er humpelt, weil er am Abend zuvor auf der Bühne umgeknickt ist, wirkt dennoch entspannt und zufrieden. Überall kommt sein Album gut an, die Kritiken sind überbordend, die Fans begeistert. Er trägt ein gelbes T-Shirt, Baseballcap und Tätowierungen, blickt beim Gespräch weit oben im Mercedes-Museum auf Stadion und Weinberge. Warum spielt er eine kleine Umsonst-Tour? „Ich finde es wichtig, zu den Fans zu gehen. Das ist der Motor, der die Karre am Laufen hält“, sagt er. Heute sind nur Fans da, die ein Ticket gewonnen haben, bevor er auf große Hallentour kommt und unter anderen am 4. November in der Stuttgarter Schleyerhalle gastiert, was er während des gut 60-minütigen Gigs aber kein einziges Mal erwähnt. Casper ist der erfolgreichste deutsche Popkünstler der vergangenen Jahre. Einer, auf den sich viele einigen können.

Da steht er auf der Bühne, ab der ersten Sekunde ist klar, dass der hier alles gibt, brüllt, singt, spricht mit dieser markant, kehligen Stimme. Mit „Alles ist erleuchtet“, in dem er Jonathan Safran Foer und David Foster Wallace zitiert, beginnt das Konzert bombastisch. Natürlich gibt es vor allem neue Lieder von „Lang lebe der Tod“, Casper wird von einer fünfköpfigen Band begleitet und ist wieder topfit, hüpft wie ein Duracell-Häschen auf Speed. „Dank des Rehabilationszentrums des VfB Stuttgart“, sagt er und sogleich stimmen die Fans ein Fußball-Lied an. Sonst singen sie seine Lieder, auch die Neuen Wort für Wort mit. Das Album ist gerade mal fünf Tage alt.

Selbstzweifel, Zeitgeistkritik, Wut, Ohnmacht, Verzweiflung und eben Angst

Casper hat riesigen Erfolg, das Album „Lang lebe der Tod“ ist derweil voll von Selbstzweifel, Zeitgeistkritik, Wut, Ohnmacht, Verzweiflung und eben Angst. Das klingt ehrlich und ja authentisch, um dieses abgenutzte Wort zu bemühen. Es geht um die Schattenseiten des Ruhms, um Verschwörungstheorien, um den eigenen Kampf. Gerne wird er als „Sprachrohr einer Generation“ bezeichnet. „Das ist natürlich ein Riesenlob, das mir sehr schmeichelt, aber ich würde das nie von mir selbst sagen“, so Casper. „Bin und war kein Held, den ihr braucht“, singt er in „Meine Kündigung“. Er ist ein Popstar, der erkannt wird, von dem Selfies gewünscht werden. Das ist Casper klar. Die Hysterie um seine Person nahm aber auch schon absurde Ausmaße an. „Ich sehe aber nicht ein, dass Schmierblätter mein Privatleben durchschnüffeln, dass meine Frau anonym beleidigt wird, dass Leute versuchen, in meine Wohnung einzubrechen.“ In „Lass Sie gehen“ sprechsingt Casper: „Mein Erfolg verfolgt mich.“

Man merkt, da sitzt einer, der hadert. Und man hört es auf „Lang lebe der Tod“. Sein Debüt „Hin zur Sonne“ handelte von seiner Jugend in Bielefeld, seine Coming-Of-Age-Geschichte hat er auf „XOXO“ vertont, und damit gelang ihm der Durchbruch. „Hinterland“ dann war der Rückblick auf seinen Erfolg. „Das ist meine Coming-Of-Age-Trilogie“, sagt er. Aber: „Ich wollte eben nicht der Künstler sein, der im damals lebt.“ Deshalb jetzt also „Lang lebe der Tod“, die für viele das ist, was man wohl den Nerv der Zeit treffen nennt. „Ich finde es eine spannende, verwirrende, politisch interessante Zeit. Wie etwa soziale Medien das menschliche Miteinander beeinträchtigen“, sagt er. „Wie toll wäre das, wenn man einen Delorean hätte und 15 Jahre vorwärts fahren könnte.“ So wie Michael J. Fox in „Zurück in die Zukunft“.

„Angst ist allgegenwärtig. Man redet viel von Burn Out, Depression, Überarbeitung. Dann gibt es Verschwörungstheorien, viel Ungewissheit. Bei mir im Privatleben sehe ich überall Angst“, so Casper. Und genau diese Stimmung fängt er auch musikalisch auf „Lang lebe der Tod“ ein. Er hat dieses Mal viel Nine Inch Nails, die Krupps, Alien Sex Fiend und Einstürzende Neubauten gehört. Aber eben auch Deutschpunk, Rap von Drake und Kanye West. Die Plattenfirma nennt seine Musik „Post-Genre“, weil es kein HipHop im eigentlichen Sinne mehr ist, das war sie vielleicht noch nie. Auch wenn sich Casper selbst nach wie vor als Rapper sieht: „Meine Arbeitsweise entspricht immer noch dem Rapansatz. Ich empfinde das auch nicht als Singen. Nur die Musik, die am Ende rauskommt, klingt anders als das, was man im Fachhandel sonst so unter Rap findet.“

„Es gibt immer wieder Phasen, in denen ich hadere.“

Überhaupt: Casper ist anders, kein Gute-Laune-Bär. „Ich geh nicht raus“, sprechsingt er in „Deborah“, einem nebligen, depressiven Song. „Es gibt immer wieder Phasen, in denen ich hadere. Das wird vor allem im Rap-Geschäft kaum thematisiert. Da ist alles immer stark, selbstbewusst und laut. Das bin ich nicht“, so Casper. Vor allem die drei letzten Songs der Platte zeigen eine ungefilterte Sicht auf Casper. „Ja, ich fühle mich auch überfordert. Weiß manchmal nicht, ob ich das noch machen will“, gibt der 34-Jährige zu. „Bei Galas und Preisverleihungen habe ich das Gefühl, da gehöre ich nicht hin, ich hätte mich da reinmogelt.“

Dabei könnte er sich bei seinem Erfolg mal locker machen, hat aber dennoch Selbstzweifel. Immer. Überall. Mit „Flackern. Flimmern“ aber nimmt die Platte nach diesem dystopischen Anfang ein versöhnliches Ende. „Ich glaube daran, dass jeder Mensch im Grunde doch gut ist.“, sagt Casper. Die Hoffnung stirbt zuletzt.