Völlig zertrümmert wurde diese Biogasanlage in Riedlingen (Kreis Biberach) im Jahr 2007 nach einer Explosion in der Nacht. Dabei entstand ein Sachschaden von etwa einer Million Euro. Foto: dpa

Biogasanlagen auf Bauernhöfen liefern saubere Energie. Sie können aber auch im wahrsten Sinn des Wortes brandgefährlich sein.

Stuttgart - Was die Sicherheitsprüfer des Landes bei ihren Besuchen von Baden-Württembergs Biogasanlagen in den vergangenen Monaten in ihre Blöcke notierten, liest sich wie der Bericht aus einem Entwicklungsland: „Offensichtliche Mängel“, konstatieren die vom Landesumweltministerium in Gang gesetzten Beamten da beispielsweise. Oder „Leckagen“, die zum „Austritt wassergefährdender Stoffe“ führten. Mangelnder Explosionsschutz, Beschädigte Foliendächer, überfüllte Fahrsilos, ungenehmigte Veränderungen an den oft Fußballplatz großen Bio-Energiekraftwerken – und, und, und. Über fast 30 Seiten listet der Ergebnisbericht zum Stand der Anlagensicherheit im Biogasbereich akribisch auf, was in dem einst als Zukunftsbranche gefeierten Biogasgeschäft gerade so alles schief geht.

Grobe Probleme bei Bio-Brütern

Neue Daten aus dem Regierungspräsidium Tübingen, die unserer Zeitung vorliegen, ergänzen das Bild. Damit ist klar: Ein Großteil der rund 900 Biogasanlagen im Südwesten ist in einem erbärmlichen Zustand. Bei fast jeder zweiten Anlage mussten die Gewerbeaufseher den Rotstift zücken und irgendeinen Regelverstoß notieren. Bei über einem Zehntel der meist von Bauern betrieben Bio-Brüter stellten sie „grobe“ Probleme fest, die in der gleichen Zahl der Fälle auch zu handfesten Schäden führten.

Wie so ein Schaden aussehen kann, lässt sich in regelmäßigen Abständen quer durch die Republik bestaunen. Im Jahr 2009 explodierte in Meiring bei Augsburg nach Schweißarbeiten ein Biogasmeiler. Die Detonation war so gewaltig, dass sie den Metalldeckel des Kraftwerks Ufo-gleich dutzende Meter durch die Luft schleuderte, bevor er in ein nahegelegenes Gewerbegebäude krachte und dieses schwer beschädigte.I

„Die Probleme bei Biogasanlagen sind erheblich“

Im baden-württembergischen Daugendorf ging 2007 eine Anlage in einem Feuerball auf. Trümmer verteilten sich im Radius von über Hundert Metern, danach legte sich ein stinkender Gülleregen übers Land. Zum bislang folgenschwersten Unfall kam es 2005 im niedersächsischen Rhadereistedt. Nach dem Entladen eines Tankfahrzeugs mit tierischen Abfällen tötete eine giftige Schwefelwasserstoffwolke vier Menschen.

Derartige Großschadensfälle sind zwar die Ausnahme – an den oft handgestrickten Anlagen sickert, trieft oder funkt es meist irgendwo. „Die Probleme bei Biogasanlagen sind erheblich“, sagt Roland Fendler, der beim Dessauer Umweltbundesamt (UBA) für die Anlagensicherheit der Gülle-Brüter zuständig ist.

Fast schon an der Tagesordnung ist nach Angaben des Experten, dass sich der Treibstoff der Anlagen – meist sind das Gülle, oder vergärende Pflanzenreste – selbstständig machen. Gelangt die aggressive Soße ins Grundwasser oder Bäche, herrscht für die Ökosysteme in der Umgebung Alarmstufe rot. Bundesweit seien seit einsetzen des Biogasbooms schon viele Gewässer durch Biogasanlagen zerstört worden, sagt Fendler.

Knapp 900 Biogas-Anlagen gibt es in Deutschland

Beim bundesweit bislang größten Vorfall wurden Anfang 2010 im ostdeutschen Saalekreis gut 14 Millionen Liter Gülle freigesetzt. Mit Sandsäcker und Barrieren kämpften fast 50 Feuerwehrleute tagelang, um das Überschwappen der Gülleflut in einen nahegelegenen Fluss zu verhindern. Das gelang zwar mit Mühe und Not, dafür verwandelten sich die umliegenden Felder in ein miefendes Emsemble brackiger Gülleseen.

Die Ursache für die argen Sicherheitsprobleme, die viele der bundesweit knapp 9000 Biogasanlagen aufweisen, sind vielschichtig. Oft sind sie in der Vergangenheit begründet. Als die Bundesregierung vor 15 Jahren die Produktion von Öko-Energien massiv zu bezuschussen begann, führte dies zu einer Goldgräberstimmung auf Deutschlands Wiesen und Äckern. Innerhalb weniger Jahre entstanden zumeist auf Bauernhöfen Hunderte Biogasanlagen.

Prüfer warnen vor Gefahren

Improvisationen beim Bau sind die Regel

Weil viel mehr Anlagen nachgefragt wurden, als die wenigen erfahrenen Hersteller liefern konnten, wurde an allen Ecken und Enden improvisiert. Neue, mit der komplexen Technologie unvertraute Anlagenbauer versprachen schlüsselfertige Rund-Um-Sorglos-Pakete mit Rendite-Garantie. Diese gerieten dabei oft viel zu groß und störanfällig. Die Landwirte wiederum glaubten Anfangs, die sensiblen Anlagen ähnlich hemdsärmelig führen zu können, wie den Rest ihrer Hofausstattung. Manche strickten sich die Anlagen gleich selbst – Marke Eigenbau.

„Oh Gott, was machen die da“, war denn auch der erste Gedanke von Sarah Gehrig als sie das Treiben auf Deutschlands Bauernhöfen zum ersten mal hautnah miterlebte. Die gelernte Umwelttechnikerin begutachtet seit Jahren Biogas-Brüter auf deren Anlagensicherheit hin. Sie spricht sogar von einer „dramatischen Situation im Biogasbereich“ und einer „Welle von Problemen“. Diese entsteht, weil die Anlagen mittlerweile in die Jahre kommen und dabei störanfälliger werden. „Es wurden Anlagen gebaut, die auf Dauer nicht funktionieren“, sagt Gehrig. Eine Einschätzung die Fachmann Fendler vom UBA bestätigt.

Beide Fachleute sehen eine selten gekannte Laxheit Seitens mancher Anlagenbetreiber. Kaputte Verschleißteile würden schon mal in der heimischen Werkstatt selbst nachgebaut, statt explosionsgeschützter Teile, würden solche von der Stange verwendet. „Das ist billiger“, sagt Fendler.

Versicherungen lehnen Policen ab

Gehring wiederum, die jahrelang in der Autoindustrie gearbeitet hat und die dort angelegten Qualitäts- und Sicherheitsstandards kennt, rauft sich beim Blick auf die Biogasbranche die Haare: Nicht vorhandene Wartungspläne, fehlende Betriebstagebücher, ungesicherte Hähne an den explosives Methangas-produzierenden Gärmeilern. „Kein Wunder, dass phasenweise jede Woche etwas passiert“, sagt Gehrig. Mittlerweile lehnten es einige Versicherungen sogar ab, Policen für Biogasanlagen auszustellen. Andere hätten ihre Prämien saftig erhöht.

Dazu kommt: Behörden nahmen es bei der Kontrolle der explosiven Kraftwerke jahrelang nicht so genau. Gehrig spricht von einem „Kontrolldefizit“, das teils noch fortbestehe. Gerade das Umweltrecht habe sich in der jüngeren Vergangenheit weg von der Kontrolle und hin zu Betreiberverantwortung entwickelt, sagt sie. Mit der Kontrolle aller Anlagen sei die unter Sparzwang stehende öffentliche Verwaltung schlicht überfordert.

In Baden-Württemberg ist man inzwischen allerdings aufgewacht. In den vergangenen zwei Jahren wurde ein Großteil des Anlagenbestands überprüft. Ein ähnlich umfassendes Notfall-Programm gab es zumindest auch in Bayern. Einige Nordländer haben zumindest Prüf-Initiativen gestartet. Auch Anlagen wurden schon stillgelegt. „Überfällig“, findet das Prüferin Gehrig. „Es ist zwingend, jetzt genauer hinzuschauen.“