Die deutschen Gasspeicher, hier im sachsen-anhaltinischen Bernburg, müssen im Sommer 2023 wieder für den nächsten Winter befüllt werden (Archivbild). Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Dass Deutschland in diesem Winter das Gas ausgeht, scheint abgewendet. Doch wie geht es im Sommer weiter? Modellrechnungen und Experten zeigen, worauf es ankommt.

Es ist Januar, und der erste Winter der Energiekrise wirkt schon fast überstanden. Ein Gasmangel in den kommenden Wochen erscheint kaum noch möglich, während der Blick sich nach vorne richtet: Werden sich die Speicher rechtzeitig vor dem nächsten Winter wieder mit Erdgas füllen lassen?

Wie ist die aktuelle Lage?

Mit Gasspeichern, die aktuell noch zu mehr als 80 Prozent gefüllt sind, ist das nächste gesetzlich vorgeschriebene Ziel sicher erreicht: Zum 1. Februar sollten die deutschen Speicher mindestens zu 40 Prozent voll sein. Auch wenn das kalte Wetter zuletzt dafür sorgte, dass teils wieder ein Prozentpunkt pro Tag aus den Speichern entnommen wurde, ist dieses Ziel nicht mehr in Gefahr. Wie es danach weitergeht, liegt weiter am Gasverbrauch und dem Wetter – die Importmengen nach Deutschland waren im bisherigen Winter auf hohem Niveau relativ stabil.

Können die Speicher im Sommer schnell genug befüllt werden?

Das hängt stark davon ab, wie voll die Speicher im Frühjahr sind. Unterschiedliche Szenarien auf Basis eines Rechenmodells des Science Media Centers zeigen, dass je nach Importmenge, Einsparung und Witterung rein rechnerisch sogar noch eine Gasmangellage im April möglich wäre. Dafür müssten Februar und März allerdings sehr kalt ausfallen, deutlich weniger Gas als zuletzt nach Deutschland gelangen und insgesamt nur zehn Prozent des Gasverbrauchs der letzten Jahre eingespart werden – ein eher unwahrscheinlicher Fall.

Verläuft der Winter dagegen in den kommenden Monaten eher durchschnittlich bei gleichbleibenden Importmengen, würden 20 Prozent eingespartes Gas sogar zur Folge haben, dass die Speicherstände über der 60- Prozent-Marke bleiben und bereits im Juli oder August wieder 100 Prozent erreichen. Ein kalter Winter würde bei 20 Prozent Gaseinsparung zwar relativ niedrige Speicherstände verursachen, doch es bliebe genug Zeit, um bis in den Herbst hinein wieder Vorräte anzulegen.

Alle diese Szenarien gehen dabei davon aus, dass ab Mai unter dem Strich 2,5 oder mehr Terawattstunden Erdgas pro Tag nach Deutschland gelangen – Exporte und eigene Förderung mit eingerechnet.

Wie schätzen Experten die Versorgungslage ein?

Sebastian Gulbis, Gasexperte bei der Beratungsfirma Enervis, schätzt die Situation angesichts der hohen Speicherstände aktuell als „vergleichsweise entspannt“ ein, auch mit Blick auf die übrigen europäischen Speicher. Doch er betont auch, wie wichtig Gassparen bleiben wird: „Unsere Szenarien entspannen sich erst bei einer Mindestersparnis von zehn Prozent.“ Gulbis blickt dabei teils schon auf 2024 – und sieht weiterhin besonders kalte Temperaturen als mögliches Problem: „Wenn wir zwei kalte Winter in Folge bekommen, kann es knapp werden.“

Dass die Importmengen, die den Szenarien des Science Media Centers zugrundeliegen, im kommenden Sommer technisch möglich bleiben, hält auch Energieexperte Helmut Kusterer für denkbar. „Die Speicher wieder zu füllen, ist weniger eine Frage des Volumens und mehr eine Frage des Preises“, sagt Kusterer, der bis 2019 für die EnBW-Tochter Gasversorgung Süddeutschland tätig war. Doch auch er warnt davor, dass sich die Speicher bis dahin noch überraschend schnell leeren können.

Wie könnte der Gasmarkt reagieren?

Sollten die Gasspeicher am Ende des Winters gut gefüllt sein, nähme der Druck auf die Gasunternehmen ab, sie so schnell wie möglich wieder aufzufüllen. Szenarien mit vollen Speicher bereits im Juli oder August zeigen deshalb weniger eine genaue Prognose als den wachsenden Spielraum für die Branche. Gulbis sieht keinen Grund für einen „Parforceritt“ wie im vergangenen Sommer und Herbst: „Die Unternehmen werden sich genau überlegen, wann sie einspeichern und das auch über den Sommer verteilen.“

Wenn vergleichsweise wenig Gas nötig ist, um die Speicher wieder zu füllen, dürfte das die Preise niedriger halten. Bereits jetzt ist der Großhandelspreis angesichts der entspannteren Lage auf etwas mehr als 60 Euro pro Megawattstunde gesunken, nachdem er im August mehr als 300 Euro betrug. Einen deutlich niedrigeren Preis hält Kusterer jedoch auch für problematisch: „Dann riskieren wir ein Zurück zum bequemeren Verhalten, und das steigert den Verbrauch. Für die Industrie wäre es allerdings von Vorteil.“ Zudem mache das Investitionen in Wärmepumpen und Gebäude mit geringerem Energieverbrauch „weniger schmackhaft“, die langfristig den Gasbedarf senken sollen.

Umgekehrt ist Kusterer sich sicher: „Wenn wir die Speicher ganz leeren müssen, dann saugen sie wieder stark am Weltmarkt und das wird das Preisniveau nach oben treiben.“ Ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor ist außerdem die Lage auf dem Weltmarkt mit Flüssiggas (LNG), das nur begrenzt hergestellt werden kann und vor Kriegsausbruch hauptsächlich nach Asien ging. „Europa ist deutlich stärker in diesen Markt eingestiegen und bewirbt sich mit um diese Mengen“, erklärt Gulbis. Wie viel LNG in Asien benötigt wird und wie stark die Konkurrenz auf dem Weltmarkt ausfällt, hängt unter anderem davon ab, wie sich die dortige Konjunktur und Gasverstromung entwickeln. Sollte LNG knapp werden, käme es darauf an, ob Europa die höchste Zahlungsbereitschaft hat.

Daten zur Energiekrise

Überblick
Aktuelle Live-Daten zur Gas- und Stromversorgung in Deutschland und Baden-Württemberg finden Sie in diesem Beitrag.