Hühnchen mit Pilzen und Zwiebeln: Bei Anita Bender lernt der gambische Azubi Sheriff Marong den deutschen Alltag kennen. Foto: John Eligon

Der Gambier Sheriff Marong macht eine Bäckerlehre. Dabei zeigt sich: Integration ist harte Arbeit – für alle.

Rottenburg - Der Bäckermeister in Rottenburg am Neckar (Kreis Tübingen) und der aus Gambia geflüchtete Auszubildende geraten in der Backstube immer mal wieder kräftig aneinander. Er streiche den Mohn nicht richtig auf den Teig, arbeite zu langsam und lächle dabei auch noch, grantelt Karl-Ernst Eissler. „Die Einstellung im Kopf fehlt einfach noch“, sagt er in Richtung von Sheriff Marong, der seit vier Jahren in Deutschland lebt und im zweiten Ausbildungsjahr ist. Der will das nicht auf sich sitzen lassen und lässt den Journalisten aus den USA auf Englisch wissen, dass sein Anleiter ihn „immer fertig“ machen wolle. „Weiße mögen Schwarze nicht sonderlich“, klagt er, was ihm prompt den nächsten Rüffel einträgt. „Sheriff, wir reden Deutsch hier“, ermahnt ihn Bäcker Eissler. „Das ist mir egal“, kontert Marong – auf Englisch.

Nicht immer aber geht es in der Backstube hoch her. Doch der geschilderte Konflikt macht die kulturellen Unterschiede deutlich, die in der Backstube immer wieder aufeinanderprallen. „Sheriff muss noch viel lernen, gar nicht so sehr, was seine Geschwindigkeit anlangt, sondern etwa, dass er nicht so viel diskutiert“, meint Heinz Manke, der Besitzer der Bäckerei Leins, in der 40 Angestellte arbeiten. Darunter sind Eissler, Marong und einige weitere Auszubildende aus fernen Gefilden. Manke hat die Flüchtlinge angesprochen, um dem Fachkräftemangel in seiner Branche zu begegnen. Deutsche, die mitten in der Nacht arbeiten wollen, sind kaum zu finden.

Arbeitsmarkt wartet auf die Flüchtlinge

Einwanderer wie Sheriff Marong gibt es mittlerweile viele auf dem Arbeitsmarkt – eine Folge der Flüchtlingskrise von 2015. Allein im vergangenen Jahr hat die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den Hauptherkunftsländern wie Syrien, dem Irak oder afrikanischen Ländern nach Angabe der Bundesagentur für Arbeit bundesweit um 52 Prozent auf 274 000 zugelegt. Das bedeutet neue Herausforderungen für Orte, Arbeitgeber und Geflohene, um gemeinsam ein gedeihliches Miteinander zu erreichen.

Nur ein paar Wochen vor dem Zwist mit seinem Meister Eissler trafen sich Marong und einige andere gambische Flüchtlinge in einer Galerie in Rottenburg mit Politikern, städtischen Behördenvertretern und Bürgern aus der Region. Marong und die anderen Gambier wurden als erfolgreiche Integrationsbeispiele gelobt. Er wohnt bei einer deutschen Familie, ist regelmäßig mit Deutschen unterwegs – und macht eine Ausbildung. Das hat Vorbildcharakter, weshalb unlängst selbst die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), zu einer Stippvisite in die Bäckerei kam.

Die Mühe mit den Vorurteilen

Für eine gute Beziehung zwischen Flüchtlingen und Einheimischen ist wichtig, sich erst einmal richtig kennenzulernen. Anita Binder ist Marongs Gast-Mutter, und sie erzählt, dass sie erst einmal habe Vorurteile überwinden müssen. „Wenn jemand keine Schwarzen kennt, denkt er ,Oh, Gott‘“, sagt sie, „wenn du die Menschen allerdings kennst, weißt du, sie sind ganz normal.“ So normal wie der 28-jährige Sheriff Marong, der schon seit zwei Jahren bei den Binders in Wurmlingen vor den Toren Rottenburgs wohnt. Er habe, so erzählt er, Gambia im Jahr 2010 verlassen, weil er wegen der schlechten Wirtschaftslage trotz seines Jobs als Koch seine Familie nicht habe ernähren können. Nach zwei Jahren in Libyen, wo er als Mechaniker arbeitete, floh er nach Italien und zwei Jahre später nach Deutschland. Der Start hierzulande war schwierig. Er konnte die Sprache nicht, hinzu kam Scheu, auf Weiße zuzugehen, denn Marong hatte in seiner Heimat nie Berührung mit Weißen.

Diese Themen sind mittlerweile abgehakt, aber er spürt, dass er nicht nur willkommen ist in diesem Land. Im Allgemeinen seien die Deutschen zwar nett zu ihm, aber manchmal werde er auch komisch angeschaut, manchmal sogar beleidigt. Und bei manchen Leuten kann er sich des Eindrucks nicht erwehren, „dass sie dich nur fertig machen wollen“, so Marong. „Diese Leuten hassen alle, die in ihr Land einwandern, weil sie denken, dass man Sozialhilfe abgreifen oder klauen will.“

Stück für Stück ein bisschen mehr Deutscher

Marong ist hochmotiviert, sein Leben in Deutschland zu meistern. Er ist Muslim, betet aber nicht mehr so oft. Er trinkt jetzt ab und an Alkohol, weil das auch viele Deutsche tun. „Niemand kann mir meine alte Kultur rauben. Aber ich ändere Kleinigkeiten bei mir, um mich der deutschen Kultur anzupassen“, sagt er.

Manchmal ist die Integration für Marong ganz einfach – und sogar angenehm. Nur ein paar Stunden nach dem Disput mit dem Bäckermeister Eissler: Es ist Abendessenszeit im Hause Binder. Weil er Koch ist, bereitet häufig Marong das Essen zu. Er gibt Zwiebeln, Pilze und gewürfelte Hühnerbrust in einen Topf, rührt Gewürze und Schlagsahne unter und – voilà! – fertig ist ein köstliches Gericht mit Reis als Beilage. Marong und die Binders sitzen beieinander, essen und diskutierten – fast so wie eine normale deutsche Familie.

Korrespondent der „New York Times“ zu Besuch in Stuttgart

Journalist
John Eligon ist „National Correspondent“ bei der „New York Times“. Er wohnt in Kansas City, Missouri. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sind Fragen von Identität, ethnischer Herkunft und Rassismus in den USA. Eligon hat zwei Monate als Arthur F. Burns Fellow bei unserer Zeitung verbracht.

Das Arthur-F.-Burns-Fellowship-Programm gibt in jedem Jahr 20 Journalisten aus Deutschland, Kanada und den USA die Gelegenheit, mit einem Stipendium Erfahrungen im anderen Land zu gewinnen.