Ein Albtraum für die Kickers – leere Ränge im Gazi-Stadion. Foto: Pressefoto Baumann

Der Degerlocher Traditionsverein ist wenig begeistert über den geplanten Saisonabbruch, weil er in der Oberliga dann den dritten Anlauf zum Wiederaufstieg nehmen muss.

Stuttgart - Freud und Leid liegen manchmal ganz eng beieinander – im Fall der Stuttgarter Kickers innerhalb von 48 Stunden. Am Sonntag noch durfte sich der Traditionsverein aus Degerloch über ein mit 11 468 Zuschauern ausverkauftes Gazi-Stadion im virtuellen Geisterderby gegen den SSV Reutlingen freuen, am Dienstag dann kam die Horrornachricht vom Württembergischen Fußball-Verband (WFV): Saisonabbruch – auch wenn dieser auf einem Verbandstag im Juni noch offiziell bestätigt werden muss, was aber nur Formsache sein dürfte.

Also macht Kickers-Präsident Rainer Lorz seinem Unmut über diese Entscheidung schon einmal Luft: „Bei allem Verständnis für die schwierige Situation auch der Verbände drängt es sich uns auf, dass bei dem vorgeschlagenen Vorgehen nicht die sportliche Komponente im Vordergrund steht, sondern der Wunsch, möglichst wenig angreifbar zu sein.“ Mit anderen Worten: Der WFV sei den Weg des geringsten Widerstands gegangen. Wobei man der Fairness halber hinzufügen muss, dass andere Verbände unter Hinzubeziehung von juristischer Hilfe genauso entschieden haben.

VfB Stuttgart II steigt wohl auf

Unter dem Strich bedeutet dies: Die Kickers als Tabellendritter standen bei der bei der Abstimmung der Oberliga-Vereine allein auf weiter Flur – und der Lokalrivale VfB Stuttgart II dürfte am Ende als Tabellenführer nach der (bereits im Handball angewandten) Quotientenregelung in die Regionalliga Südwest aufsteigen.

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Der Aufstieg war eigentlich auch das Ziel der Blauen. „Deshalb haben wir uns in der Winterpause nochmals verstärkt“, sagt Lorz. Mit gleich fünf neuen Spielern, was nebenbei zu einer Etaterhöhung im Vergleich zur vorigen Oberliga-Saison auf etwa 1,1 Millionen Euro geführt hat. Alles für die Katz, auch wenn Lorz betont: „Selbst wenn wir am Ende rote Zahlen schreiben, wird sich das Defizit in Grenzen halten.“

Maßgeblich dazu beigetragen hat just das Geisterderby, das gut 50 000 Euro in die Kassen gespült haben dürfte und somit zumindest die Einnahmeausfälle der sieben noch anstehenden Heimspiele der Rückrunde „weitgehend ausgleicht“, wie der Präsident erklärt. Hinzu kommt, dass der Verein von Regressforderungen der rund tausend Dauerkartenbesitzer bisher weitgehend verschont geblieben ist, und Lorz für die treuesten Fans nach einer akzeptablen Lösung sucht, wie man ihnen entgegen kommen kann.

Wie geht es weiter?

Doch auch da sind dem Verein vorläufig die Hände gebunden, so lange die Rahmenbedingungen für die neue Saison nicht klar sind. Wann geht es weiter? Aktuell steht der 1. September im Raum, nachdem bis Ende August Großveranstaltungen untersagt sind. Und wie? Mit Fans oder ohne oder nur mit einer bestimmten Anzahl? „Das größte Problem ist die Unsicherheit“, meint Lorz. In wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht.

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Im sportlichen Bereich sind die Kickers dagegen einen Schritt weiter. Das Grundgerüst des Kaders steht. 15, 16 Spieler haben laut dem sportlichen Leiter Lutz Siebrecht noch einen Vertrag für nächste Saison, acht Kontrakte laufen aus: Die von Abwehrspieler Tobias Feisthammel (Kapitän), Patrick Auracher (Vize-Kapitän), Johannes Ludmann und Theo Rieg sowie der Offensivkräfte Aron Viventi, Mijo Tunjic (19 Saisontreffer) und Michael Klauß. Zudem ist schon klar, dass der dritte Torwart Plator Gashi zur TSG Balingen wechseln wird. „Wir werden uns jetzt mit dem Präsidenten zusammensetzen und schauen, welches Budget uns zur Verfügung steht und dann die Planung vorantreiben“, sagt Siebrecht.

Freiberg der große Konkurrent?

Klar ist schon jetzt: Ohne den VfB II werden die Kickers – dann bereits zum dritten Mal – mit der Favoritenbürde leben müssen, obwohl auch Vereine wie der SGV Freiberg sehr ambitioniert in die Runde gehen und neben Matthias Morys (SG Großaspach) Torjäger Marco Grüttner verpflichtet haben, auf den auch die Kickers ein Auge geworfen hatten. So könnte ausgerechnet der Ex-Verein des aktuellen Trainers Ramon Gehrmann zum Rivalen der Blauen werden, wenn nicht noch etwas Unvorhergesehenes passiert. Wie Rainer Lorz das alles findet? „Wir müssen uns mit der Situation arrangieren“, sagt er. „Auch wenn es schwer fällt.“