Für Experte Knut Kircher ist klar: „Bei Geisterspielen müssen die Schiedsrichter ihre Sensorik neu justieren.“ Foto: dpa/Christoph Schmidt

Knut Kircher hat 244 Bundesliga-Spiele gepfiffen, mittlerweile sitzt er als Schiedsrichter-Beobachter in den Stadien. Er freut sich, dass es bald wieder los geht – auch wenn die Aufgabe für die Referees nicht einfach wird.

Rottenburg - Knut Kircher (51) zählte zu den besten deutschen Schiedsrichtern – und er hat selbst die Erfahrung gemacht, ein Geisterspiel zu leiten. Der Entwicklungsingenieur aus Rottenburg weiß also genau, was auf die Unparteiischen in den nächsten Wochen zukommt.

Herr Kircher, was denken die Bundesliga-Schiedsrichter darüber, dass es trotz der Corona-Krise Mitte Mai wieder losgeht?

Sie sind froh, dass sie ihrer Passion wieder nachgehen können.

Wie haben die Unparteiischen die Pause erlebt?

Sie haben sich körperlich fit gehalten für den Tag X. Teilweise alleine, teilweise in gemeinsamen Videoeinheiten. Und sie haben sich in der Theorie weitergebildet: Es gab digitale Schulungen zu unterschiedlichen Schwerpunkten, auch mit bewegten Bildern, zum Beispiel zu indifferenten Spielsituationen aus der Vorrunde. Und jetzt freuen sich alle darauf, dass das tägliche Geschäft wieder beginnt. Raus aus der Theorie, rein in die Praxis.

Es gab auch Kritik am Bundesliga-Comeback mitten in der Corona-Pandemie. Wie ist Ihre persönliche Meinung?

Ich verstehe beide Seiten. Die Kritik, dass ausgerechnet der Sport, in dem am meisten Geld im Spiel ist, gefühlt bevorteilt und protegiert wird, kann ich absolut nachvollziehen – und ich spüre auch, dass viele Menschen so denken. Andererseits gibt es viele, die den Fußball vermisst haben. Letztlich ist die Bundesliga ein Wirtschaftsunternehmen, das wie jede andere Firma alles dafür getan hat, damit es wieder losgehen kann.

Wie beurteilen Sie das Sicherheits- und Hygienekonzept der Deutschen Fußball Liga?

Es wird versucht, mit hoher Wahrscheinlichkeit Risiken auszuschließen. Das passt. Allerdings ist jede Vorgabe nur so gut, wie sie anschließend jeder Einzelne umsetzt. Das erfordert Vernunft und Disziplin.

Dies gilt auch für die Schiedsrichter.

Natürlich. Wir dürfen uns nicht täuschen lassen: Auch Schiedsrichter haben Familien, berufliche Kontakte, gehen zum Einkaufen. Niemand ist kaserniert – und muss sich entsprechend verhalten.

Lesen Sie hier, wie der VfB Stuttgart in den Trainingsalltag zurückgekehrt ist.

Es wird in dieser Saison nur noch Geisterspiele geben. Was ändert sich dadurch für die Schiedsrichter?

Es ist eine neue Herausforderung.

Sie wissen, wovon Sie sprechen.

Richtig. Ich habe 2006 selbst mal ein Geisterspiel gepfiffen, in der EM-Qualifikation in Belgrad. Serbien gegen Aserbaidschan, im Stadion waren nur 250 Leute.

Wie ist es gewesen?

Komisch. Sehr komisch.

Warum?

Als Schiedsrichter ist man es gewohnt, ständig Rückmeldung von den Rängen zu bekommen und dafür nicht alles zu hören, was Spieler, Trainer und Offizielle von sich geben. Bei einem Geisterspiel ist es genau umgekehrt: Es kommt nichts von den Tribünen, folglich gibt es auch keine Geräuschkulisse, die einen pusht, motiviert und mitreißt. Dafür versteht man auf dem Platz jedes Wort.

Und muss manchmal weghören?

Auf jeden Fall muss ein Schiedsrichter sich auf diese veränderte Situation einstellen, seine ganze Sensorik neu justieren. Diese neuen Impulse dürfen ihn nicht ablenken, er muss auf seine Aufgabe fokussiert bleiben. Was die Äußerungen auf dem Platz angeht, muss er ein Gefühl dafür entwickeln, was er wahrnimmt und was besser nicht – zum Beispiel bei den hin und wieder derberen Ausdrucken, die Spieler so von sich geben. Wenn ein Schiedsrichter da auf alles eingehen würde, würde er schnell die Konzentration und den Blick fürs Spiel verlieren.

Sind Geisterspiele schwieriger zu leiten?

Das würde ich nicht sagen. Sie sind ungewohnt. Aber die Schiedsrichter werden aus jedem Einsatz, den sie haben, für sich lernen.

Müssen sich die Unparteiischen auch auf eine veränderte Spielweise der Teams einstellen?

Ich glaube nicht, dass sich wegen des Virus’ neue Situationen ergeben, die Zweikämpfe anders geführt werden oder weniger Emotionen im Spiel sind. Auch wenn ich mir durchaus wünschen würde, dass die Diskussionen und Rudelbildungen weniger werden und hier mehr Distanz gewahrt wird. Doch ich glaube nicht, dass man in emotionalen Momenten immer so rational handelt.

Glauben Sie, dass die Saison sportlich zu Ende gebracht werden kann?

Verantwortliche, Spieler, Trainer, Schiedsrichter – alle fahren gerade auf Sicht. Trotzdem gehe ich davon aus, dass die Saison durchgezogen werden kann.

Lesen Sie hier, warum Thomas Hitzlsperger die Vereine in der Verantwortung sieht.