Schwere Jungs beim leichten Spiel: Die Insassen der JVA Adelsheim spielen in der Sporthalle des Gefängnisses Fußball Foto: Mayer

Sport ist für Strafgefangene eine willkommene Abwechslung zum tristen Alltag. Und von wegen wilde Kerle: Im Fußballtraining in der JVA Adelsheim geht es überraschend diszipliniert zu. Ein Besuch.

Adelsheim - Heiko Link hat ein Problem. Seiner Mannschaft fehlt ein solider Torhüter. Was nach den üblichen Sorgen einer durchschnittlichen Kreisligamannschaft klingt, ist in diesem Fall noch kniffliger. Denn die Neuzugänge kann sich der Trainer nie selbst aussuchen. Und die Zahl der Spieler, aus denen er auswählen kann, schwankt.

Link ist seit 2009 der Leiter des Gefangenensports in der Jugendvollzugsanstalt (JVA) Adelsheim. Seit einem Jahr trainiert er dort die Fußballmannschaft. Immer wieder muss Link umstellen, improvisieren. „An eine langfristige Planung ist nicht zu denken“, sagt er, „wenn man Glück hat, spielt eine Mannschaft im Kern ein halbes Jahr zusammen.“ Der eine verabschiedet sich danach in die Freiheit, der andere verliert die Lust oder bekommt wegen Fehlverhaltens ein Sportverbot aufgebrummt. Für Link beginnt die Arbeit dann wieder von vorn.

Das Team hat derzeit ein Torwartproblem

Immerhin, das aktuelle Team, alle zwischen 19 und 24 Jahre alt, trainiert nun schon seit mehreren Wochen in fast identischer Besetzung. Lediglich der aussichtsreichste Kandidat für den Job als Torhüter kommt nicht mehr. Er konzentriere sich voll auf seinen Hauptschulabschluss und nutze die Zeit lieber, um sich in seiner Zelle vom Unterricht auszuruhen oder noch zu lernen, sagt Link: „Wir müssen das respektieren.“ Gleichwohl hat der Sportbeamte damit ein Torwartproblem, keiner der neun Heranwachsenden, die an diesem Nachmittag in die kleine Halle gekommen sind, wirkt zwischen den Pfosten talentiert.

Es ist ein Problem zur Unzeit. An diesem Samstag steht das vollzugsinterne Hallenturnier in Heimsheim an, an dem JVAs aus ganz Baden-Württemberg teilnehmen. Es ist einer der wenigen sportlichen Höhepunkte im Jahr für die Gefängnisinsassen. „Da geht es ums Prestige, wir wollen das Turnier gewinnen“, sagt der 20 Jahre alte Talha, der nach eigenen Angaben wegen gefährlicher Körperverletzung in Adelsheim sitzt.

Für seinen 19-jährigen Teamkollegen Eric, wegen schwerer Körperverletzung verurteilt, ist Sport eine „große Leidenschaft“. Wenn er keinen betreibe, werde er träge und faul. Der Wettbewerb in Heimsheim sei „eine schöne Abwechslung und Herausforderung zugleich“, sagt er.

Am regulären Spielbetrieb nimmt im Südwesten keine Knastmannschaft teil

Turniere wie dieses wecken den Ehrgeiz der Gefangenen. Am Spielbetrieb der Fußballverbände im Südwesten nimmt indes keine der Gefängnismannschaften teil. Aus Sicherheitsgründen, wie es aus dem Justizministerium heißt.

Dass dies aber durchaus möglich wäre, zeigt ein Beispiel aus Hamburg. Dort spielt Eintracht Fuhlsbüttel – die Knastmannschaft von Santa Fu – nun schon seit 40 Jahren in der Kreisklasse. Ohne Zwischenfälle. Ohne Gewalt. Ohne die Chance, aufzusteigen. Außerdem hat die Eintracht nur Heimspiele, weil die Gefangenen das Knastgelände nicht verlassen dürfen.

Fußballverbände signalisieren Bereitschaft – viele offene Fragen in den JVAs

Auf Nachfrage unserer Zeitung können sich der Württembergische Fußballverband (WFV), der Badische Fußballverband und der Südbadische Fußballverband eine Integration eines JVA-Teams in den normalen Spielbetrieb nach dem Hamburger Modell durchaus vorstellen. „Wir kooperieren bereits bei Schiedsrichterausbildungen und Trainerfortbildungen mit der einen oder anderen Anstalt“, sagt der beim WFV für den Spielbetrieb zuständige José Macias. Anfragen wegen des Spielbetriebs habe es noch nie gegeben. „Wir wären aber gesprächsbereit.“

Das Ministerium und die Sportbeamten der Justizvollzugsanstalten müssten allerdings wohl nicht nur die baulichen Gegebenheiten prüfen, sondern auch den personellen Aufwand und die Bereitschaft der Insassen. Denn nicht selten kommen samstags die Familienmitglieder in die JVA, um die Gefangenen zu besuchen. Die Idee habe Charme, sagt Link, aber es gebe zumindest in Adelsheim zu viele offene Variablen. In Heimsheim wiederum fehlt ein Spielfeld. Vorerst bleibt das Hamburger Modell in Baden-Württemberg also wohl nur ein Wunsch einzelner Insassen.

Vorbildliche Kooperation zwischen JVA und Germania Adelsheim

In Adelsheim bietet sich für bereits in Lockerungshaft befindliche Gefangene ohnehin die Möglichkeit, am Spielbetrieb teilzunehmen. Zwischen der Jugendvollzugsanstalt und dem örtlichen Sportverein Germania gibt es eine Kooperation. Uli Waschek war mehr als 25 Jahre das menschliche Bindeglied zwischen beiden Seiten. Er gehörte mehrere Jahrzehnte dem Vorstandsgremium der Germanen an und arbeitet als Sozialarbeiter hinter den Mauern am Ortsrand. Bis zum April des vergangenen Jahres leitete er dort auch das Fußballtraining.

Immer wieder vermittelte Waschek in der Vergangenheit jene Häftlinge an die Germanen, die talentiert waren und sich ein Engagement im Verein vorstellen konnten. Im vergangenen Jahr bestritten zwei Spieler mehrere Partien im Germanen-Trikot. Für diese Art der Resozialisierung erhält der SV Germania Adelsheim am 15. April dieses Jahr die Sepp-Herberger-Urkunde.

Das Strafmaß ist egal – wichtig ist das fußballerische Können

Hinter Gittern dürfen derweil alle Häftlinge mitkicken. Unabhängig von ihrem begangenen Delikt, unabhängig von ihrer Strafe. In der Praxis müssen sie eine gewisse fußballerische Qualität mitbringen, ein positives Sozialverhalten zeigen und sich an die Regeln halten. Wer im Knast erneut gegen Ordnung und Gesetz verstößt und ein offenes Verfahren hat, der erhält Sportverbot und muss in seiner Zelle schmoren. „Das schränkt bei der Zusammenstellung des Teams ein. Es gibt mit Sicherheit den einen oder anderen, der uns sportlich helfen könnte, sich aber falsch verhalten hat“, sagt Link.

Der Sportbeamte ist enorm engagiert, er gibt während des Trainingsspielchens lautstark Anweisungen, zweimal unterbricht er die Partie sogar, um taktische Feinheiten zu korrigieren. Ab und zu stichelt er auch, um die Jungs zu kitzeln. Das sei kein Problem, versichert Talha: „Herr Link gibt sich Mühe und ist mit Herz dabei – es macht wirklich Spaß.“ Der Coach selbst sagt, entscheidend sei für ihn, dass es diszipliniert zugehe. Das Delikt des Einzelnen interessiere ihn nicht. „Ich will unbefangen sein. Hier sind alle gleich, hier wollen alle kicken.“

Anekdote aus vergangenen Tagen

Was beim Kick im Knast jedoch ständig latent mitschwingt, ist die Subkultur und die Machtstruktur unter den Insassen. „Seltsamerweise können fast alle, die im Gefängnis was zu sagen haben, auch ganz gut kicken“, sagt Waschek. Der Sozialarbeiter erzählt, wie er vor etlichen Jahren den Meinungsführer, der eine Partnerübung verweigerte, aus dem Team verbannte. Der probte dann den Aufstand gegen Waschek – mit dem Resultat, dass der Coach beim nächsten Training nur noch vor vier Spielern stand. Alle anderen streikten.

„Damals konnte ich glücklicherweise aus den Vollen schöpfen und Schwund mit Leuten auf der Warteliste kompensieren“, sagt er. Heute würde das wohl nicht mehr funktionieren. Dazu fehlen schlicht die Insassen.

Jugendkriminalität geht stark zurück

Dass die Jugendkriminalität in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist, belegen neue Zahlen des baden-württembergischen Justizministeriums. Ende Januar 2016 waren landesweit nur noch 315 Personen wegen einer Jugendstrafe inhaftiert. Das ist ein historischer Tiefstand, so wenige junge Gefangene gab es nie zuvor seit 1974 der Jugendstrafvollzug im Land eingeführt wurde.

Auf das fußballerische Niveau in Adelsheim wirkt sich der Rückgang der Strafgefangenen noch nicht aus. Als die letzte Minute des Trainings anbricht, zieht Matthias an der Mittellinie das Tempo noch mal an, dribbelt an zwei Gegenspielern vorbei und hebt den gelben Filzball gefühlvoll über den herausstürzenden Torwart hinweg. Das Spielgerät tropft einmal auf und landet rechts oben im Netz des Handballtores. Starkes Solo, der Torschütze klatscht mit Teamkollege Talha ab. Eines ist nach diesem Nachmittag klar: In der Offensive besitzt die Mannschaft enormes Potenzial. Dann geht zurück in die Zellen. Was bleibt, ist das Torwartproblem. Und das wird sich bis zum Ausflug nach Heimsheim wohl auch nicht mehr lösen.