Am Boden: Foto: dpa/Christian Charisius

Nach einer kläglichen Zweitliga-Saison und der verpassten Relegation gegen Werder Bremen kassiert der HSV viel Häme. An der Elbe glaubt niemand mehr an eine baldige Rückkehr in die Bundesliga – offenbar nicht mal mehr der Traditionsclub selbst.

Hamburg - Eigentlich wollte Trainer Dieter Hecking seine HSV-Profis am Montag auf die beiden Spiele des Jahres einstimmen. Er hatte vor, an ihre Ehre zu appellieren, ihren Kampfgeist zu wecken, ihnen klarzumachen, was für eine große Chance sie haben in der Relegation. Gegen den Erzrivalen Werder Bremen. Stattdessen war das Treffen im Volkspark an Tristesse nicht zu überbieten. Hängende Köpfe, leere Blicke, nach unten gezogene Mundwinkel – das Zweitliga-Jahr, das für den Traditionsverein am Sonntag mit der größten denkbaren Blamage zu Ende gegangen war, wirkte nach. Alle wollten nur noch weg, in den Urlaub. Was danach kommt? Weiß niemand so recht. „So eine Leistung“, sagte Marcell Jansen, der Vereinspräsident und Chef des Aufsichtsrats, „ist nicht zu entschuldigen.“

Der Ex-Nationalspieler meinte das 1:5 gegen den SV Sandhausen – dem HSV hätte schon ein Remis gereicht, um als Dritter um die Rückkehr in die Bundesliga kämpfen zu können. Sein Satz galt aber zugleich für die ganze Saison, die zum Vergessen war, die so schnell aber niemand vergessen wird. Entsprechend harsch fielen die Reaktionen aus.

„Elf Flaschen auf dem Platz“

Klar, der Hamburger Spott-Verein kassierte im Netz viel Häme. „Hamburgs kleinste Brauerei: elf Flaschen auf dem Platz“, hieß es dort. Oder: „Aus Sorge ums Image: McDonald’s benennt Hamburger um.“ Aber auch die Medien vor Ort kannten keine Gnade. „Zombiefußball – erbärmlich!“ (NDR), „Der HSV ist da, wo er hingehört“ („Spiegel“), „Der peinlichste HSV aller Zeiten“ („Bild“) und „Tiefster Tiefpunkt“ („Morgenpost“), lauteten die Schlagzeilen. Die bestens mit den Zahlen der Saison korrespondieren.

Was den Spieler-Etat angeht (28 Millionen Euro), war der Hamburger Sportverein die klare Nummer zwei hinter dem VfB Stuttgart, doch die Mannschaft schlug sich klar unter Wert. 46 Gegentore, allein in der Rückrunde neun verschenkte Punkte in der Nachspielzeit, nur ein Sieg mehr als Erzgebirge Aue – und dann, als es drauf ankam, auch noch das 1:5 gegen den Fußballzwerg aus Nordbaden. „Am Ende“, meinte Jansen, der mächtige Boss, „haben wir die brutalste Enttäuschung erlebt.“

Klägliche Saison

Oft folgt auf solche Worte die Entlassung des Trainers. Beim HSV ist das nicht nötig. Der Kontrakt von Dieter Hecking (55) läuft an diesem Dienstag aus, er hätte sich nur im Fall des Aufstiegs automatisch verlängert. Dass letztlich wie vor einem Jahr ein einziger Punkt fehlte, um wenigstens in die Relegation zu kommen, ärgerte und frustrierte den Coach zwar, zu viel Verantwortung für die klägliche Saison mochte Hecking dann aber doch nicht übernehmen: „Wir haben als großes Ganzes angefangen, und wir sind als großes Ganzes gescheitert.“ Nun ist die Frage: Geht es auch als großes Ganzes weiter? Bisher hatten Hecking, Jansen und Sportchef Jonas Boldt das vor, nun erklärte der HSV-Präsident, in den nächsten Tagen erst mal alles analysieren zu wollen: „Dann werden wir die richtigen Schlüsse ziehen.“ Gute Ratschläge von außen gibt es schon jetzt.

Ex-HSV-Star Rafael van der Vaart sprach sich für Kontinuität auf der Bank aus, wohl wissend, dass dies in Hamburg ein Fremdwort ist, mit dem die Verantwortlichen wenig anfangen können – von 2007 bis heute hatte der 1. FC Heidenheim, der nun die Relegation bestreitet, in Frank Schmidt nur einen Coach. Beim HSV waren es in diesem Zeitfenster 20 (!). „Wenn keine Qualität da ist, könnten auch Mourinho oder Guardiola Trainer sein. Es würde nichts bringen“, meinte van der Vaart, „es wird Zeit, die Spieler zu wechseln. Ich würde auf Talente setzen.“ Was als klare Kritik an der Kaderplanung zu verstehen ist.

Finanzielle Sorgen

Dem HSV fehlte es zuletzt nicht nur an mentaler Stärke, sondern auch an Klasse in der Defensive und Kreativität im Spielaufbau. Weshalb eine Chance sein kann, dass ein Umbruch ohnehin unvermeidbar ist. Neben den Leihspielern (Fein, Harnik, Beyer, Schaub, Pohjanpalo) gelten die Abgänge von Jairo Samperio und Christoph Moritz als sicher. Dazu müssen wohl formstarke Profis wie Tim Leibold (zum VfB?), Bakéry Jatta oder Jeremy Dudziak verkauft werden, um in Corona-Zeiten handlungsfähig zu bleiben – zumindest einigermaßen.

Denn die finanziellen Sorgen werden durch den verpassten Aufstieg, der 20 Millionen Euro Fix-Einnahmen gebracht hätte, nicht kleiner. An diesem Dienstag läuft der Vertrag mit Klaus-Michael Kühne über die Namensrechte am Volksparkstadion aus. Bisher hat der 83-jährige Milliardär, der als größter Einzelaktionär 20,57 Prozent Anteile an der Fußball-AG des HSV hält, vier Millionen Euro pro Jahr nur dafür bezahlt. Zudem könnte die Airline Emirates als Hauptsponsor eine Klausel ziehen und aus dem bis 2022 gültigen Vertrag aussteigen. Angesichts dieser düsteren Aussichten sind viele Posts im Netz bereits mit dem Zusatz #unaufsteigbar versehen, dazu passt eine wenig inspirierende Aussage von Frank Wettstein. „Auch im fünften, achten oder zwölften Zweitliga-Jahr“, meinte der HSV-Finanzchef zuletzt, „werden wir noch einen Kader haben, der oben mitspielen kann.“ Er hätte auch sagen können: In Hamburg glaubt niemand mehr an eine baldige Rückkehr in die Bundesliga. Nicht mal der HSV selbst.