Der Waliser Gareth Bale trifft im EM-Halbfinale auf den portugiesischen Superstar Cristiano Ronaldo . Foto: AFP

Wenn an diesem Mittwoch im ersten Halbfinale Portugal und Wales aufeinandertreffen, ist dies auch ein Wiedersehen von Cristiano Ronaldo und Gareth Bale. Beide spielen im Club für Real Madrid – und sind in ihren Nationalteams die uneingeschränkten Führungsfiguren.

Lyon - Diese Statistik ist gnadenlos. Zum siebten Mal nimmt Cristiano Ronaldo an einem großen Turnier teil – und noch nie hat der Edeldribbler etwas Großes mit der Nationalmannschaft erreicht. In Portugal würden sie dennoch nie auf die Idee kommen, Ronaldo deshalb als Verlierer zu sehen. Dafür hat er mit Manchester United und Real Madrid zu viel gewonnen: unter anderem vier Meisterschaften in England und Spanien, dreimal den Pokal und auch dreimal die Champions League. Dazu kommen Torrekorde und Auszeichnungen wie dreimal der Ballon d’Or als weltbester Spieler des Jahres. Ronaldo ist und bleibt Portugals Fußballkönig.

Außerhalb der iberischen Halbinsel sehen sie das vor dem Halbfinale gegen Wales an diesem Mittwoch (21 Uhr/ARD) in Lyon natürlich anders. Alle zwei Jahre wird da das Bild des verzweifelten Ronaldo gezeichnet, der wieder einmal gescheitert ist. Mit dem Team seines Heimatlandes, aber auch an sich selbst. An seinem Egoismus und seiner Eitelkeit, der die eigenen Bestmarken stets über den Mannschaftserfolg zu stellen scheint.

Doch diesmal in Frankreich ist es anders. Ronaldo spielt anders. Zwar hat er als Egoshooter begonnen und in der Gruppenphase so oft wie kein anderer Spieler auf das gegnerische Gehäuse geschossen, aber mit Ausnahme seiner zwei Tore beim 3:3 gegen Ungarn nicht getroffen. Und danach begann, was viele nicht mehr für möglich gehalten hatten. Eine Wandlung des Superstars wäre wohl zu hoch gegriffen, aber zumindest ist eine Entwicklung festzustellen.

Ronaldo gibt sich seit den K.-o.-Runden als Mannschaftsspieler. Als einer unter elf, der das defensiv geprägte Spiel des Trainers Fernando Santos mitträgt. Als Belege dafür gelten, dass der Angreifer im Viertelfinale gegen Polen erst in der 117. Minute auf das Tor schoss und sich im Elfmeterschießen mehr um seine Mitspieler kümmerte als um die eigene Inszenierung.

Der Schöne und das hässliche Spiel

Woher dieser Sinn für das Ganze plötzlich kommt, ist nicht komplett geklärt. Aber offenbar hat Santos dem Schönspieler von Madeira klarmachen können, dass mit dem vermeintlich hässlichen Fußball diesmal viel zu erreichen ist. Noch haben die Portugiesen bei dieser EM keine ihrer fünf Begegnungen in 90 Minuten gewinnen können – und stehen dennoch im Halbfinale.

Für Ronaldo ist das womöglich die letzte Chance seines Fußballerlebens, die Lücke in seiner Vita zu schließen. „Ich habe nie verheimlicht, dass ich es lieben würde, mit der Nationalmannschaft eine Trophäe zu gewinnen“, sagt der Stürmer. Diese Sehnsucht treibt ihn an, weil es ihn über den Erzrivalen Lionel Messi erheben würde – und weniger über seinen walisischen Gegenpart und Clubkollegen Gareth Bale.

Dieser Traum vom Titel lässt ihn auch Teil eines Teams sein, das fußballerisch weit hinter der einst Golden Generation um Luis Figo bleibt. 2004, bei der EM im eigenen Land, stieß Ronaldo zu dieser grandiosen Mannschaft – die jedoch auch nie eine Trophäe gewann. Ihre Geschichte endete im Finale von Lissabon, als die Griechen triumphierten. Der damals 19-jährige Ronaldo weinte, und der mittlerweile 31-jährige Ronaldo will diese Tränen endlich vergessen machen. Um jeden Preis. Selbst wenn es ihn persönlichen Glanz kostet.

Supermann Bale und der Teamgeist

Diese Statistik ist gnadenlos. Noch nie hat Gareth Bale den Fußballplatz als Sieger verlassen, wenn auf der anderen Seite Cristiano Ronaldo mitspielte. Fünf direkte Duelle zwischen ihren Mannschaften gab es bereits zwischen den beiden Superstars von Real Madrid (vier Ronaldo-Siege und ein Unentschieden). Doch mit diesen Zahlenspielereien kann Bale nichts anfangen, weil es das EM-Halbfinale auf den bloßen Kampf unter Kollegen reduziert. „Es ist Wales gegen Portugal, nichts anderes. Ein Halbfinale, elf Mann gegen elf Mann“, sagt Bale vor der Begegnung an diesem Mittwoch in Lyon.

Auch für solche Sätze lieben die drei Millionen Waliser im kleinsten Teil des Vereinigten Königreichs ihren Fußballprinzen. Behauptet zumindest der Nationaltrainer Chris Coleman. Weil Bales Aussagen Gemeinschaftssinn dokumentieren, und weil er voller Leidenschaft bei der EM-Mission mitwirkt.

Das beweisen auch die Bilder seit Turnierbeginn. Bale fügt sich nahtlos in das Mannschaftsspiel ein. Er verteidigt, wenn er muss, und er greift an, sobald er kann. Immer mittendrin statt nur dabei. Vor allem, wenn es ans Jubeln nach dem Abpfiff geht. Mit den Fans, mit der Familie samt der dreijährigen Tochter Alba und mit den Freunden, wie er die Mitspieler nennt.

1958 scheiterte Wales an Brasilien mit Pele

Elf Freunde müsst ihr sein – das ist Bales Botschaft. Und dieser Zusammenhalt hat die Waliser weiter gebracht, als sie nach 58 Jahren Abwesenheit bei großen Turnieren zu hoffen gewagt hatten. Damals, 1958 in Schweden, scheiterten die Männer mit dem Drachen auf den Trikots im WM-Viertelfinale an Brasilien. 0:1, das Tor erzielte Pele. Jetzt geht es im EM-Halbfinale gegen Portugal – mit Cristiano Ronaldo.

„Ich könnte meine Verteidiger einen Monat lang auf Cristiano Ronaldo einstellen. Doch er hat immer die Fähigkeiten, etwas Außergewöhnliches zu vollbringen“, sagt Coleman. Er schickt jedoch hinterher: „Wir haben auch einen von dieser Sorte.“ Schlaue Sätze eines gerissenen Trainers sind das, da sie einerseits die Qualität des Gegners respektieren, andererseits spricht aus Coleman und seinen flotten Jungs auch stets das Selbstvertrauen des Emporkömmlings.

Sie haben nichts zu verlieren, und sie haben nichts zu fürchten. Das sind die Worte, die ihnen der Trainer schon zu Beginn mitgegeben hat. Und kaum einer hat sie in den Reihen der Waliser so beherzigt wie Bale. Auf dem Platz mit unwiderstehlichen Sprints, lässigen Tricks und schon drei Toren. Außerhalb mit seinem uneitlen Auftreten, das immer auch im Widerspruch zu Cristiano Ronaldo und dem realen Fußballzirkus in Madrid zu stehen scheint.

Schon an sechs EM-Pressekonferenzen hat Bale teilgenommen und immer darüber geplaudert, wie er die Zeit mit dem Team genießt. Wie er ohne jeden Argwohn sich im Kreis der Mitspieler bewegen kann. Ganz anders als in Madrid, wo sie den 100-Millionen-Euro-Mann seit seiner Ankunft vor drei Jahren ständig beäugen. Erst in den vergangenen Monaten ist es besser geworden. Was Bale aufblühen und an den Spott eines Vereinskollegen denken lässt. Toni Kroos hatte geflachst, dass Wales nach drei Spielen nach Hause fahren werde. „Also wäre es schön, ihn und die Deutschen im Finale zu treffen“, schmunzelt Bale.