Das Maß der Dinge in der Bundesliga: Der FC Bayern mit Xabi Alonso Foto: Getty

Chancengleichheit herrscht in der Bundesliga schon lange nicht mehr – weshalb die Fragen drängender werden, wie die wirtschaftliche Kluft innerhalb der Fußball-Oberklasse auf einem erträglichen Maß zu halten ist.

Stuttgart - So ganz einig sind sich die Experten ja nicht in der Frage, wie die bajuwarische Dominanz in der Fußball-Bundesliga einzuordnen ist. Christian Heidel, der Manager des FSV Mainz 05, meint: „Wenn auf Dauer feststeht, dass Bayern München deutscher Meister wird, ist das nicht gut für die Liga.“ Huub Stevens, der Trainer des VfB Stuttgart, sagt dagegen: „Es schadet der Bundesliga nicht, wenn eine Mannschaft total dominant ist.“ Und Martin Kind empfiehlt, die Diskussion darüber lieber gleich einzustellen – weil sie eh nichts bringt.

Der 70-jährige Unternehmer ist Präsident von Hannover 96, und weil er sich mit den Verhältnissen in der Liga in den vergangenen Jahren beschäftigt hat wie kaum ein anderer, hält er alle, die dem FC Bayern den Kampf ansagen, für eher weltfremd. „Das ist falscher Ehrgeiz“, sagt Kind, der nicht mal dem VfL Wolfsburg eine solche Attacke zutraut, „die Bayern bieten eine gute Orientierung, aber mit Sinn für die Realität muss man auch sagen, dass sie eine Ausnahmerolle spielen.“ Was im Umkehrschluss den Einzug von Langeweile im deutschen Oberklassenfußball bedeutet. Oder etwa nicht?

"Die Bundesliga beginnt derzeit ab Platz zwei"

Kommt auf den Blickwinkel an. Wer nur nach ganz oben schielt, wird sich in nächster Zeit schwertun, Spannungsmomente auszumachen. Kind sagt dagegen: „Die Bundesliga beginnt derzeit ab Platz zwei – aber da ist sie noch hochinteressant und spannend.“ Und nach wie vor herausfordernd.

Die Clubs hinter den Münchner Dominatoren sind schließlich nicht nur gefragt, im sportlichen Wettstreit den Besten des Rests zu bestimmen. Es gibt weitere Herausforderungen. „Die Bayern sind das Maß der Dinge, alle anderen Vereine sind gefordert, da Stück für Stück aufzuholen“, sagt Markus Weinzierl, der Coach des FC Augsburg. Weil Martin Kind bereits dieses Ansinnen für kaum realisierbar hält, formuliert er es allgemeiner: „Die Bundesliga ist Premiumprodukt und Wachstumsmarkt – alle Clubs sind aufgefordert, an diesem Wachstum beteiligt zu sein.“ Was leichter gesagt ist als getan.

Ulrich Ruf, der im Sommer scheidende Finanzvorstand des VfB Stuttgart, wies die weiß-rote Gemeinde schon vor Jahren darauf hin, dass die meisten herkömmlichen Einnahmequellen bereits ausgereizt sind, als Wachstumsmarkt ist allein die Vermarktung der TV-Rechte geblieben, vor allem international verspricht sie noch Steigerungen. Im kommenden Jahr werden die Rechte ab der Saison 2017/18 neu ausgeschrieben, die Liga verspricht sich neue Rekorderlöse, die Vereine hoffen auf mehr Geld – doch klar ist auch: Die Kluft innerhalb der Liga wird dadurch nicht kleiner werden. Denn: Profiteure der Steigerungen sind am ehesten diejenigen Clubs, die bereits jetzt wirtschaftlich und sportlich vorneweg marschieren. Weshalb zuletzt auch die Grundlage der Verteilung der TV-Gelder ins Gerede gekommen ist.

Platzierungen entscheiden über TV-Geld

Bislang sind die Platzierungen der vergangenen fünf Spielzeiten entscheidend, welchen Anteil am TV-Geld ein Verein einstreicht. Großverdiener demnach: der FC Bayern – was völlig in Ordnung ist. Erstens entspräche es „nicht der Logik von ergebnisorientierter Arbeit, wenn die Erfolgreichen bestraft werden“, sagt Martin Kind. Zudem ist der Rekordmeister auch Quotenkönig bei den Übertragungen im Pay-TV. Dieses Verhältnis ist bei manch einem Traditionsverein aus dem Gleichgewicht geraten. Soll heißen: Verhältnismäßig viele TV-Zuschauer, dafür aber wenig Erfolg – weshalb es Vorschläge gibt, nicht nur Tabellenstände als Bemessungsgrundlage heranzuziehen. Christian Seifert, der Vorsitzende der Geschäftsführung bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL), sagt: „Es ist legitim, sich über andere Kriterien zu unterhalten.“ Verändern wird sich am Verteilerschlüssel zunächst aber wohl nichts. Warum auch?

Die Bundesliga-Macher sind in den vergangenen Jahren schließlich gut gefahren mit der gängigen Praxis in allerlei Bereichen. In der vergangenen Woche jedenfalls präsentierte Seifert zum zehnten Mal in Folge einen Umsatzrekord in Deutschlands höchster Spielklasse, die in der Saison 2013/14 satte 2,45 Milliarden Euro eingespielt hat. „Das wirtschaftliche Wachstum der Bundesliga ist ungebrochen“, sagt Seifert. In Bremen, Hamburg oder Stuttgart fiel der Jubel darüber eher verhalten aus.

Die dortigen Traditionsclubs, einstmals Stammgäste in oberen Regionen und in der ewigen Bundesligatabelle noch direkt hinter den Münchnern angesiedelt, setzen nach wie vor mehr um als manch ein sportlicher Emporkömmling. Die Verlustzone ist dennoch zum steten Aufenthaltsort geworden, eine sportliche Schwächung war die Folge, und das Gefühl, den Anschluss an die Topclubs verloren zu haben, ist alles andere als trügerisch.

„Wenn man bei Umsätzen von 100 Millionen Euro plus x Verluste macht, dann sind Entscheidungen getroffen worden, die nicht ganz glücklich waren“, analysiert Martin Kind. Derartige Fehler auszubügeln ist ein ebenso langwieriges wie schwieriges Unterfangen. „Die Schere ist auseinandergegangen, es wird nicht mehr mit gleichen Waffen gekämpft“, sagt Ex-VfB-Trainer Armin Veh. Und meint nicht nur den Vergleich mit dem FC Bayern.

"Es geht um Eigenkapital, Erträge, Liquidität"

Der VfL Wolfsburg hat den VW-Konzern im Rücken, die Leverkusener die Bayer AG, der FC Schalke 04 profitiert von den Gazprom-Millionen, 1899 Hoffenheim ist das Werk von Milliardär Dietmar Hopp, und in RB Leipzig wächst ein überaus potenter Club mit Unterstützung des österreichischen Getränke-Giganten Red Bull heran. Um dem zu begegnen, „müssen wir neue Antworten finden“, sagt Martin Kind. Die Profiabteilung aus dem Hauptverein auszugliedern ist eine davon – wenn auch keine mit allzu hohem Neuigkeitswert.

70 Prozent der Clubs in Liga eins und zwei sind bereits als Kapitalgesellschaften organisiert. „Die Organisation als Verein ist schon seit Jahren nicht mehr tragfähig“, sagt Martin Kind über die Branche Bundesliga, „es geht um Eigenkapital, es geht um Erträge, es geht um Liquidität – das sind Herausforderungen, die häufig nur noch mit Investoren und Gesellschaftern zu bewältigen sind.“ Und selbst das geht dem 96-Präsident nicht weit genug.

Weil er gerade den VfL Wolfsburg und Bayer Leverkusen aufgrund von Ausnahmeregelungen bevorteilt sah, klagte Martin Kind gegen die starre Handhabung der 50+1-Regel im deutschen Profifußball. Diese besagt, dass Investoren und Gesellschafter maximal 49 Prozent der Mehrheit an einem Bundesligaclub halten dürfen. Vielen strategischen Partnern ist dies in der heutigen Zeit aber nicht mehr genug. „Wenn man sich zu einer Ausgliederung und der Öffnung für den Kapitalmarkt entscheidet, muss man auch die Rahmenbedingungen schaffen können“, sagt Kind, dank dessen Klage nun weitere Ausnahmen möglich sind – unter bestimmten Voraussetzungen.

20 Jahre in Folge muss ein Partner sich in erheblichem Maße im entsprechenden Club engagiert haben, dann ist auch die Übernahme der Mehrheitsanteile möglich. In Hoffenheim (Dietmar Hopp) ist dies in diesem Sommer so weit, Martin Kind zieht mit seiner Investorengruppe 2017 mit Hannover 96 nach. „Wer sich so lange umfassend engagiert, hat auch eine hohe Identifikation mit dem Verein und dessen Umfeld“, glaubt Kind, der kurzfristige Einstiege von Oligarchen oder millionenschweren Scheichs so für ausgeschlossen hält. Dennoch ist die nun mögliche Praxis alles andere als unumstritten.

"Hohen Respekt vor der Tradition und vor den Fans"

Im Bestreben, die jeweiligen Clubs wirtschaftlich voranzubringen, sehen deren Fans einen Angriff auf die traditionellen Werte der Vereine – und natürlich auf das eigene Mitspracherecht. „Ich habe hohen Respekt vor der Tradition und vor den Fans“, sagt Martin Kind zwar und fordert die Findung einer „Synthese zwischen wirtschaftlicher Herausforderung und Begriffen wie Tradition und Emotion“. An einem lässt der Unternehmer aus Hannover aber keinen Zweifel: „Bundesligavereine sind Wirtschaftsunternehmen.“ Die längst nicht mehr nur sportlich konkurrieren.

Selbst die Bayern hätten mit Audi, Adidas und Allianz potente Partner, die sich ihre Beteiligungen (je 8,33 Prozent) bereits rund 300 Millionen Euro haben kosten lassen. Der VfB Stuttgart plant 2016 die Ausgliederung der Profiabteilung in eine AG, Gespräche mit strategischen Partnern wie der Daimler AG laufen, die Veräußerung der Mehrheitsanteile steht derzeit aber noch nicht zur Debatte. Rund 70 Millionen Euro soll der Akt dennoch in die Clubkasse spülen. Geld, das dem VfB auf dem geplanten Weg als Tempomacher dienen soll. Es soll aufwärts gehen, wenn auch nicht ganz nach oben. Der Spitzenplatz ist schließlich besetzt – höchstwahrscheinlich dauerhaft.