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Polizei will Komasäufern den Führerschein vorenthalten. Bisher nur eine Idee. Eine gute?

Sindelfingen - Sandra ist 17. Und sie weiß, wovon sie spricht. "Wenn Du Alkohol trinkst, wirst Du glücklicher. Da bekommt man die Anerkennung, die man vielleicht zuhause nicht erhält." Jahrelang hat die Schülerin aus Mannheim getrunken. Keine Milch, keine Orangenlimo, sondern harte Sachen wie Wodka. Und das regelmäßig. "Man sieht die Werbung im Fernsehen, man sieht andere Jugendliche, wie sie trinken. Irgendwann probiert man es selbst aus." Und trinkt, bis der Körper streikt.

Komasaufen nennen Experten das nicht neue Phänomen. Und doch wirkt die Schilderung von Sandra (Name geändert) bei der Jahrestagung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sindelfingen wie ein Warnruf. Erst vor wenigen Wochen hat die Landesregierung das Verbot erlassen, wonach ab sofort an Tankstellen und Kiosken zwischen 22 und 5 Uhr kein Alkohol mehr verkauft werden darf. Aber wird damit das Problem gelöst? Aus Sicht der Polizei ist es ein Widerspruch, dass die CDU-FDP-Koalition im Gegenzug die Sperrzeiten für Gastwirtschaften unter der Woche auf 3 Uhr und am Wochenende auf 5 Uhr verkürzt hat. "Das ist unsinnig", sagt Rüdiger Seidenspinner, Landeschef der Gewerkschaft.

Fakt ist: Die Zahl der Jugendlichen in Baden-Württemberg, die trinken, bis der Arzt kommen muss, werden immer mehr. 2001 wies die Statistik der Krankenhäuser noch 1792 Fälle aus, 2008 waren es bereits 4014. Tendenz: weiter steigend. Vor allem werden die Trinker immer jünger. Neue Untersuchungen zeigen, dass das Einstiegsalter beim Alkoholkonsum inzwischen im Schnitt bei 11,6 Jahren liegt, den ersten Vollrausch gibt's mit 13 Jahren. Und: Vor allem Mädchen sind zunehmend betrunken. "Wir haben es immer öfter mit jungen Leuten zu tun, die nicht mehr gerade laufen können und uns nicht mal mehr sagen können, wie sie heißen", berichtet ein Polizist am Dienstag aus seinen Alltagserfahrungen.

"Die ganze Gesellschaft muss umdenken"

Wann Sandra das erste Mal richtig volltrunken war, weiß sie nicht mehr. Aber so ein Suff, der Brummschädel am nächsten Morgen, das hat offenbar nichts Abstoßendes, eher etwas Heldenhaftes. "Der Rausch macht den Leuten nichts aus. Die bleiben halt am nächsten Morgen im Bett liegen, gehen nicht zur Schule und trinken einen Kaffee", erzählt Sandra, als ob dieser Absturz ganz selbstverständlich sei. Wenn das Kopfweh weg ist, geht's wieder auf Tour.

Bei der Suche nach den Ursachen stehen die Experten der Tagung, darunter auch Landespolizeipräsident Wolf-Dietrich Hammann und Landeskriminaldirektor Hartmut Grasmück, vor einem Rätsel. "Es gibt keine allgemein gültige Erklärung für das Phänomen", sagt Seidenspinner. Allenfalls gibt es Versuche der Ursachenforschung. Zum Beispiel bei jenen Elternhäusern, "die das Alkoholproblem nicht offensiv ansprechen", wie es ein Tagungsteilnehmer betont. Zum Beispiel in den Schulen, wo mancher Jugendliche den Leistungsdruck durch Drogen kompensieren will, "wir aber nicht die Zeit und Hilfsmittel haben, um uns darum zu kümmern", wie es eine Lehrerin formuliert. Aber auch die Jugendlichen selbst, die aus Mangel an beruflichen Perspektiven und wegen mangelnder sozialer Geborgenheit den Alkohol als Zufluchtsort sehen. Sandra sagt: "Es macht Spaß zu trinken."

Dabei kann von Spaß längst keine Rede mehr sein. Denn im Zuge des Komasaufens steigt auch die Kriminaliätsrate. Bei jeder dritten aufgeklärten Straftat im Bereich Gewaltkriminalität spielt der Alkohol inzwischen eine Rolle. Auch hier: Tendenz steigend. In Freiburg, wo der Alkoholverkauf in der Innenstadt für einige Monate verboten war, stieg die Zahl der verletzten Polizisten zuletzt von 24 auf 30. Aber was ist zu tun gegen die Mischung aus Alkohol und Gewalt?

Will Pietsch vom "Haus des Jugendrechts" in Stuttgart schlägt vor, das Thema Eltern und Erziehung als Schulfach einzuführen, um schon früh mit der Prävention zu beginnen. "Da wird was hängen bleiben, so wie jeder Mensch nicht vergisst, dass vier mal vier eben 16 ist." Andere wie Adolf Gallwitz von der Hochschule der Polizei fordern "einen Mix aus in-den-Armnehmen und Nachteile spüren lassen". Seine Idee: Wer als Jugendlicher mit Alkoholproblemen oder durch Gewaltvergehen auffällig wird, erhält nicht den begehrten Führerschein mit 17. Und doch sind sich alle in Sindelfingen einig, dass es keinen Königsweg gibt, "sondern die ganze Gesellschaft umdenken muss", so Seidenspinner. Das kann schon um die Ecke gelingen. "Es kann doch nicht wahr sein, dass es bei einem Jugendfußballturnier am Würstchenstand auch Bier und Wein gibt", sagt ein Polizist, "für so etwas brauchen wir keine Verbote, da reicht schon der normale Verstand, dass das nicht geht."