Mit Perlenkette und Lächeln: Birgit Geiger in ihrem Oberpaur, den sie an diesem Samstag verlässt. Schauen sogar die Kleiderpuppen betrübt? Foto: factum/Weise

Es scheint nicht vorstellbar, ist aber so: Birgit Geiger verlässt das Modehaus Oberpaur in Ludwigsburg und geht in den Ruhestand. Aus einer verstaubten Adresse hat sie ein modernes Geschäft gemacht – in dem mancher Einzelhändler-Kollege etwas lernen könnte.

Ludwigsburg - Wahrscheinlich ist es Einbildung, dass die Leute langsamer durch die Gänge laufen, als wären sie bedrückt. Und dass die Puppen im Schaufenster traurig gucken. Und dass das Wasser aus den Sprudlern vorm Oberpaur nicht fröhlich sprudelt, sondern irgendwie in Moll. Andererseits kämpfen Mitarbeiter doch tatsächlich gegen Tränen, wenn sie nur daran denken: Birgit Geiger verlässt Oberpaur. Und das ist ja eigentlich auch nicht vorstellbar. Dass jemand nicht mehr da ist, der gefühlt immer da war. Und worüber jeder froh war – und froh sein musste.

Im Fall von Birgit Geiger und Oberpaur könnte man auch sagen: Oberpaur verliert seine Oberpowerfrau. Nüchterner gesprochen ist es so: Birgit Geiger, 64, geht in den Ruhestand. An diesem Samstag hat die Geschäftsleiterin ihren letzten Arbeitstag. „Reden wir lieber nicht darüber“ sagt sie. Aber das geht natürlich auch nicht.

Dicke Teppiche und düstere Räume

Als Birgit Geiger am 1. Juli 2002 bei Oberpaur in Ludwigsburg anfing, lagen auf den Böden noch dicke Teppiche. Die Verkäuferinnen waren in der Regel, sagen wir, nicht gerade erfreut, wenn sie einen Kunden erblickten. Und die Kleidung, die in den Regalen der düsteren Räume lag, war nicht mehr so ganz der allerletzte Schrei. „Es war desolat“, sagt selbst Birgit Geiger, in deren Büro ein Zettel hängt: „Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.“ Wer weiß, wie es bei Oberpaur heute aussieht (sehr hell) und zugeht (sehr freundlich), bekommt eine Ahnung davon, was Birgit Geiger geschafft hat. Und der weiß, dass es keine Phrase ist, wenn sie sagt: „Mein Hobby ist mein Beruf.“

Birgit Geiger war die linke und die rechte Hand der Geschäftsleitung eines Trachtenhauses in Bayern; wurde erst zweite Geschäftsführerin bei Oberpaur in der Stuttgarter Hirschstraße (der nichts mit dem Ludwigsburger zu tun hatte), und dann erste; für Sinn Leffers wirbelte sie in Pforzheim, ehe sie zu Oberpaur kam. „Ich hätte nichts anderes machen wollen“, sagt die Frau, der die Berufsberater daheim in Göppingen geraten haben, unbedingt mit Menschen zu arbeiten.

Tradition mit Zukunft

Oberpaur ist eines der traditionsreichsten Unternehmen in der Stadt. Fast 5000 Quadratmeter, beste Lage, 120 Mitarbeiter. Zeitungsartikel von Traditionshäusern handeln heute erschreckend oft von Räumungsverkäufen oder Übernahmen. Von verlorenen Kämpfen gegen die Konkurrenz und falschen Ideen für die Zukunft. Auch Oberpaur lebt nicht auf einer Insel der Seligen. Vor der Haustür steht das Breuningerland, die Konkurrenz in Stuttgart schläft nicht und das Internet sowieso nie. Und auch Oberpaur hat es schwer gehabt. Damals, als Birgit Geiger in Ludwigsburg antrat, hatte die J.N. Oberpaur & Co KG gerade ihre Häuser in Freiburg, Amberg und Bayreuth geschlossen.

Übrig blieb das Geschäft am Firmensitz in Landshut und das in Ludwigsburg – und das feiert im nächsten Mai seinen 100. Geburtstag (dann mit Webshop). Das Geheimnis des Erfolgs? „Die Kunden müssen sich wohlfühlen“, sagt Birgit Geiger. Was wahrscheinlich besser gelingt, wenn an der Spitze jemand steht, der auch sagt: „Ich liebe Menschen und Mode.“

Von der Oberpowerfrau zur Rentnerin

Wer sich öfter im Oberpaur aufhält, kann erleben, wie Birgit Geiger Kunden bisweilen auf eine Tasse Kaffee einlädt, einfach so, um sich mit ihnen zu unterhalten. Oder wie sie selbst Ordnung an einem Kleiderständer schafft. Oder, in ganz, ganz seltenen Fällen, wie sie einen Kunden des Ladens verweist. Weil er unverschämt war. „Oberpaur ist nicht das richtige Haus für Sie“, sagt Birgit Geiger in solchen Fällen.

Wer schon länger mit Birgit Geiger zusammen schafft, hat gelernt, dass die Chefin Marken-Produzenten im Zweifel so lange persönlich weichkocht, bis sie von sich aus Oberpaur unbedingt beliefern wollen. Und selbst, wer erst kurz dabei ist, merkt gleich, dass Birgit Geiger alles weiß, notfalls auch, wo die Ersatzsicherung für die Ersatzleuchte im Ersatzteillager ist. „Sie ist das Gesicht des Hauses“, sagt fast ehrfürchtig Christoph Sprenger, ihr Nachfolger.

Von Montag an ist Birgit Geiger nicht mehr die Oberpowerfrau von Oberpaur. Dann ist sie Rentnerin. Und jeder, der sie kennt, sagt: „Sie hat es verdient.“