VfB-Kapitän Christian Gentner (re.), Vize Vedad Ibisevic Foto: dpa

Der VfB Stuttgart steckt sportlich wieder mal in der Krise. Wo sind die Spieler, die vorneweg marschieren? Die Experten Jürgen Sundermann und Guido Buchwald tun sich schwer mit einer Antwort.

Stuttgart - Im Training am Mittwoch stand Zweikampfschulung obenan. Duelle eins gegen eins, zwei gegen zwei, drei gegen drei. Und immer, wenn Vedad Ibisevic und Georg Niedermeier aufeinandertrafen, wurde es spannend. Die beiden beharkten sich nach allen Regeln der Kunst, ließen nicht locker, zogen, zerrten, schenkten sich nichts. Ihre Hartnäckigkeit war ein Signal, auch an die Mitspieler: So behauptet man sich – im Training und im drohenden Kampf gegen den Abstieg.

Jetzt, wo es in der Tabelle eng und enger wird, sind Kämpfer gefragt. Aber auch Strategen. Echte Führungsspieler also. Die vereinen beides – und noch viel mehr. Sie müssen konstant auf Topniveau spielen, in der Mannschaft anerkannt sein, das Vertrauen des Trainers und des Managers genießen, die deutsche Sprache beherrschen, Probleme erkennen und klar ansprechen. Kommunikationsfähigkeit und soziale Kompetenz sind ebenso hilfreich wie ihre Position im Spiel: Ein zentraler Mittelfeldmann tut sich naturgemäß leichter als ein Stürmer, auf die Mitspieler einzuwirken.

Ibisevic tummelt sich in der Spitze, Niedermeier drückt die Bank. Auf Cacau trifft beides zu, da helfen seine ganze Erfahrung und sein ganzes Ansehen nichts. Und sonst? Sonst klafft hinter Kapitän Christian Gentner, der zurzeit auch noch verletzt ist, eine bedenklich große Lücke. Das sehen auch die alten Haudegen Jürgen Sundermann und Guido Buchwald so. Sundermann, der Aufstiegstrainer von 1977 („Wundermann“) und Dauergast bei den Heimspielen, sagt mit entwaffnender Offenheit: „Außer Gentner sehe ich zurzeit keinen, der den Ansprüchen an einen Führungsspieler gerecht wird.“ Buchwald, Ex-Kapitän und Ehrenspielführer, sieht es nicht gar so eng. Aber er räumt auch ein: „Ich sehe eher Spieler, die mittelfristig in die Rolle hineinwachsen können.“ Buchwald denkt an Spieler wie Daniel Schwaab, Moritz Leitner, Antonio Rüdiger. Eine schnelle Hilfe sind sie alle nicht: „Sie brauchen noch zwei, drei Jahre.“

Christian Gentner, da sind sich beide einig, „bringt alles mit, um eine Mannschaft zu führen“ (Buchwald). Er erfüllt auch ein weiteres Anliegen, das Sundermann wichtig ist: „Hilfreich ist es, wenn ein Führungsspieler schon lange im Verein ist oder sogar schon in der Jugend dort gespielt hat, das gibt ihm ein anderes Gewicht in der Öffentlichkeit.“ Bei Ibisevic dagegen hat Sundermann aufgrund dessen Position Bedenken: „Um Einfluss auf das Spiel zu nehmen, musst du im Zentrum des Geschehens sein.“ Ein Kriterium, das auch Martin Harnik nicht erfüllt: „Er ist auch ein offensiver Spieler und kein typischer Spielgestalter.“ Moritz Leitner und Ibrahima Traoré scheiden für ihn ohnehin aus: „Das sind Individualisten.“

Schwaab, Konstantin Rausch und Mohammed Abdellaoue sind neu im Verein, Antonio Rüdiger hat genug mit sich selbst zu tun, Gotoku Sakai scheitert ohnehin an der Sprache – damit ist die derzeitige Startelf ausgereizt. Die derzeitige Führungsschwäche sei „vielleicht entscheidend, warum der VfB nicht oben mitspielt“, sagt Sundermann. Weil das Element im Spiel fehlt, das die Mitspieler und das Spiel so steuert, damit nicht jede Führung dahinschmilzt und am Ende sogar in die nächste Niederlage mündet. „Der VfB muss darauf hoffen, dass sich einer der jungen Spieler entsprechend entwickelt“, sagt Sundermann – irgendwann.

Ganz so schwarz beurteilt Guido Buchwald die Situation nicht. Anders als Sundermann rechnet er Ibisevic sehr wohl zu den Spielern, die vorangehen. „Er ist leistungsorientiert, erfolgshungrig und als Torjäger anerkannt. Auch als Stürmer kann er Zeichen nach hinten setzen, indem er ganz vorne die Zweikämpfe gewinnt.“ Zudem könne er bei Spielunterbrechungen seine Mitspieler steuern. Oder bei gegnerischen Eckbällen: „Da geht er mit nach hinten und kann auf die Abwehr einwirken.“ Von seinem Wert außerhalb des Platzes ganz abgesehen: „Dort sind Führungsspieler auch gefordert, dort kann er sich genügend einbringen.“

Doch wer sagt während des Spiels dem jungen Innenverteidiger Antonio Rüdiger, wie er sich in einer konkreten Situation verhalten muss? Buchwald hat die Antwort sofort parat: „Ulle.“ Torwart Sven Ulreich – trotz seiner gleichfalls entlegenen Position? „Oliver Kahn war auch Torwart und eine große Führungspersönlichkeit.“ Und trotz der Fehler, die Ulreich zuletzt unterlaufen sind? „Jawohl“, sagt Buchwald, „gerade das zeichnet einen Führungsspieler aus. Dass er alles verdrängt und erkennt: Jetzt, in dieser einen Situation, kommt es auf mich an. Darauf, wie ich auf meine Mitspieler einwirke.“

Ohnehin sei es falsch, „alles an einem Spieler festzumachen“. Wobei der Blick auf den Spielerrat („Der muss die Richtung vorgeben“) nicht eben hoffnungsfroh stimmt. Hinter Kapitän Gentner und Vizekapitän Ibisevic sind da noch Rüdiger, der selbst um Stabilität ringt, sowie Niedermeier und Karim Haggui – beide sind nur Ersatz.

Wie man es dreht und wendet, eine Antwort fällt schwer. Obwohl – eine ist einleuchtend. „Die sollen gewinnen – und fertig“, sagt Buchwald. Dann wäre das Problem gelöst. Zumindest bis zur nächsten Niederlage.