Die Führung endet am Seilerwasen, wo Ulrike Goetz noch ein Gedicht von Ferdinand von Freiligrath vorträgt. Foto: Maira Schmidt

„Cannstatt – Schwabens Paradies“ lautet der Titel einer Führung, zu der Stadtführer Bernd Möbs eingeladen hat. Mit der Sprecherin Ulrike Goetz und rund 25 Bürgern hat er sich aufgemacht, die einstige Pracht des Bezirks wiederzuentdecken.

Bad Cannstatt - Es muss wirklich prachtvoll gewesen sein, das Cannstatt des 19. Jahrhunderts. 3000 Kurgäste zählte man im Jahr 1860, darunter Könige, Grafen und Herzöge. „Kliniken und Luxushotels siedelten sich rund um den wunderschönen Wilhelmsplatz an“, sagt Bernd Möbs. Im Rahmen einer literarisch-stadtgeschichtlichen Führung macht sich der Stadtführer gemeinsam mit der Sprecherin Ulrike Goetz und rund 25 interessierten Bürgern auf, die Überbleibsel dieser Pracht zu entdecken.

Möbs erzählt vom „Buddenbrooks-Häusle“

Los geht es jedoch nicht am einst so „wunderschönen Wilhelmsplatz“, der sich im Laufe der Jahre zum Verkehrsknotenpunkt entwickelt hat, sondern am Kursaal. Von dort führt Möbs die Gruppe hinauf in den oberen Kurpark zum Auerbach-Denkmal. Der aus dem Schwarzwald stammende Schriftsteller Berthold Auerbach galt im 19. Jahrhundert als Bestsellerautor. Seine Bücher wurden laut Möbs in ganz Europa und sogar in Amerika gelesen. Warum ihm im Kurpark ein Denkmal errichtet wurde? Auch er zählte zu den Kurgästen, die sich in Cannstatt erholten.

Aus einem ganz anderen Grund verschlug es Hermann Hesse an den Neckar. Als 15-Jähriger habe er eine Zeit lang das Johannes-Kepler-Gymnasium besucht, berichtet Möbs. Dass aus dem Jugendlichen ein Literatur-Nobelpreisträger werden würde, habe damals noch keiner geahnt. Im Gegenteil, „er hat seine Bücher verkauft und sich in den Cannstatter Kneipen betrunken“, erzählt der Stadtführer.

Im Unterschied zu Hesse hat Thomas Mann niemals in Bad Cannstatt gelebt. Seine Spuren findet man trotzdem. Möbs nennt es das „Buddenbrooks-Häusle“, ein Gebäude an der Ecke Wildbader und Kreuznacher Straße, in dem Elisabeth Mann, die Tante des Schriftstellers, wohnte. Sie gilt als Vorbild für die Figur Tony aus dem Roman „Die Buddenbrooks“.

Keine Katholiken und keine Kickers-Fans

Vom Kurpark geht es weiter in Richtung Altstadt. An der Marktstraße stoßen die Teilnehmer auf ein weiteres historisches Relikt. Die Gruppe steht vor dem Haus von Spielwaren Glaser. Ein Geschäft, das der Schriftsteller Thaddäus Troll, der in Bad Cannstatt geboren und in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, in einem seiner Werke erwähnt. In dem von der Sprecherin Ulrike Goetz rezitierten Text heißt es, der Inhaber des Spielwarengeschäftes sei ein Sozialdemokrat gewesen. Das galt zu jener Zeit in Bad Cannstatt als ein Schimpfwort, wenn man den Worten von Troll glauben darf. Die Geschäftsleute an der Marktstraße seien keine Katholiken, keine Kickers-Fans und eben auch keine Sozialdemokraten gewesen, verrät Troll.

Doch es waren nicht nur die Schriftsteller, die den Bezirk prägten. Auch viele wohlhabende Bürger und Adelige zog es immer wieder in die Sauerwasserstadt. Ein Ort, an dem viele dieser gut betuchten Gäste residierten, war das Hotel Hermann, laut Möbs damals das beste Haus von Cannstatt. „Hier sind die ganzen königlichen Häupter eingekehrt“, sagt er. Das Hotel stand an der Badstraße, wo sich heute das Krankenhaus vom Roten Kreuz befindet.

Doch während es früher Menschen aus dem ganzen Land nach Cannstatt zog, gibt es heute sogar viele Stuttgarter, die es nur selten über den Neckar schaffen. „Ich kannte Bad Cannstatt bislang fast gar nicht“, sagt Hartmut Richthofer, der im Westen wohnt und gemeinsam mit seiner Mutter Ursula an der Führung teilnimmt. Doch der Ausflug hat sich gelohnt. Beeindruckt habe ihn vor allem die Vielfalt, die Mischung aus Gründerzeitbauten und den weniger schönen Ecken. Der letzte Besuch soll es nicht gewesen sein, Richthofer will wiederkommen.