Fritz Kuhn oder die Politik der ruhigen Hand: Ohne detaillierte Gespräche mit wichtigen künftigen Mitarbeitern will er keine personellen oder strukturellen Entscheidungen treffen, sagt er. Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie mit Zitaten vom Redaktionsbesuch. Foto: Leif Piechowski

Als Autofeind will er sich nicht vorführen lassen, der künftige Oberbürgermeister von Stuttgart, auch wenn er die Feinstaubwerte senken will. Dafür nimmt er alle in die Pflicht – in der Stadt und der Region.

Stuttgart. Eine gute Stunde muss genügen. So lange hält die neue Stimme der Stadt Stuttgart durch. Dann hüstelt Fritz Kuhn in kürzeren Abständen, greift immer öfter zum Wasserglas, um die Stimme zu ölen. Um die Nachwehen einer Bronchitis in Schach zu halten, die ihn kurz vor dem zweiten Wahlgang bei der Stuttgarter OB-Wahl am 21. Oktober gepackt hat. Aber die Zeit im Konferenzraum unserer Zeitung reicht aus, um beim ersten Redaktionsgespräch als neu gewählter OB die Koordinaten der künftigen Aktivitäten aufzuzeigen.

Der Mann, der am 7. Januar im Stuttgarter Rathaus den Christdemokraten Wolfgang Schuster ablösen wird, verkneift sich im Moment noch vieles. Beispielsweise jedwede Häme über Verlierer der Wahl. Aber auch allzu vollmundige Ankündigungen oder gar gewagte Versprechen.

Er werde im Januar vorn ins Rathaus reingehen – und „mit geradem Rücken“, erklärt der 57-jährige Grünen-Politiker. Aber er werde auch „eher zurückhaltend“ in seine Amtszeit hineingehen. Bevor er im Amt ist, will er schon gar nicht über personelle Veränderungen außer denen auf dem OB-Sessel reden.

Kuhn will „die ganze Stadt mitnehmen“

Zuerst werde er in den nächsten zwei Monaten, die ihn noch vom Amt trennen, detailliert mit den Bürgermeistern reden, den wichtigsten Mitarbeitern in den Stabsstellen und mit dem einen oder anderen Amtsleiter – und zuvörderst mit Noch-OB Wolfgang Schuster. „Vorher wird es keine personellen oder strukturellen Entscheidungen geben“, sagt Kuhn. Jetzt sei erst einmal Ruhe angesagt, denn schließlich müsse er in seinem Amt „die ganze Stadt mitnehmen“.

An zusätzliche Stellen für Mitarbeiter seines Vertrauens denke er im Moment nicht in erster Linie. Auch Spekulationen, er werde vielleicht einen zusätzlichen Bürgermeisterposten einrichten wollen, damit die Grünen angemessen auf der Bürgermeisterebene vertreten sind, erteilt er eine Absage. „Es gibt neben dem OB im Rathaus sieben Bürgermeister – damit müsste man es doch hinkriegen“, sagt Kuhn. Überhaupt müsste man über solche Fragen erst in aller Ruhe mit den Fraktionsvorsitzenden reden. „Da bin ich im Moment echt nicht sendefähig“, sagt Kuhn mehr als einmal. In anderen Fragen ist er nicht sendewillig.

Er lässt aber keinen Zweifel daran, dass die wichtigsten Mitarbeiter unter seinem Kommando wieder regelmäßig jede Woche miteinander reden müssten. Wie es dazu kommen konnte, dass die Referentenrunde unter Schuster zwei Jahre lang gar nicht mehr getagt habe, versteht er nicht. Zumal Schuster seiner Meinung nach in der Verwaltung und beim Konzeptionellen „viel gut gemacht hat“. Allerdings nicht immer bei der Umsetzung der Konzeptionen.

Zahl der Autos im Stuttgarter Talkessel soll um 20 Prozent reduziert werden

Gespräche und Gemeinsamkeit – damit will Kuhn auch außerhalb des Rathauses die notwendigen Problemlösungen schaffen. Etwa bei dem Versuch, die Zahl der Autos im Stuttgarter Talkessel um 20 Prozent zu reduzieren, um so die schlimmsten Probleme der Feinstaubbelastung zu lösen und die Schadstoffwerte unter die Grenzwerte zu drücken. Da will er alle in die Pflicht nehmen.

Reihenweise die Maßnahmen abzulehnen, die er vorschlage, aber keine Alternativen zu nennen – dieses Spiel werde er in Stuttgart nicht spielen lassen. Wenn er sage, dass auch ein Porsche-Fahrer mal mit der Stadtbahn in die Stadt fahren könne, müsse man sich doch nicht aufregen, meint er, „das ist doch eine Trivialität“. Schließlich habe sich der Porsche-Fahrer mit seinem hochpreisigen Auto nicht das allumfassende Recht erworben, aus der Diskussion und der Verantwortung für die Luftqualität auszusteigen.

Kuhn ist allerdings sicher, dass die Autohersteller einen guten Beitrag leisten werden: mit abgasärmeren oder gar abgasfreien Autos. Er begrüße die Elektromobilität sehr, sagt Kuhn, „aber nur, wenn der Strom aus erneuerbaren Energien kommt – mit Kohlestrom ist nichts gewonnen“. Ohne das Mitziehen der Automobilindustrie werde es nicht gehen. Die Hersteller müssten aber auch ihre Entwicklung in Richtung Mobilitätsdienstleister noch vertiefen.

Mit Tempolimits gegen die Feinstaubbelastung

Kuhn strebt offenbar eine konzertierte Aktion an. Mit den Arbeitgebern in Stuttgart will er klären, wie ihre Mitarbeiter umweltverträglicher zum Arbeitsplatz kommen könnten. Mit den Oberbürgermeistern und Landräten draußen möchte er erörtern, wie den Pendlern das Umsteigen vom Auto auf die Schiene schmackhafter gemacht werden kann.

Er selbst beabsichtigt, die Pendler zum Umsteigen anzuhalten, indem er in weiteren Stadtbezirken im Zentrum mit Hilfe des Gemeinderats das Parken mit Gebühren belegen will. Differenzierte Tempolimits – 50 auf den wichtigsten Durchgangsstraßen, 40 auf anderen Hauptstraßen und 30 in den Wohngebieten – sollen ebenfalls helfen, die Schadstoffbelastung zu senken.

Am 1. Juli, wenn er sein erstes halbes Jahr als OB hinter sich hat, will Kuhn ein Konzept zur Feinstaubbekämpfung vorlegen können, das mit der Landesregierung und dem Regierungspräsidium abgestimmt ist. Ähnlich rasch gedenkt er auch ein Konzept vorzulegen, „wie wir bei den Kindertagesstätten für Kinder unter drei weiterkommen“.

Bisher war geplant, bis 2014 Plätze für 46 Prozent der Kinder anbieten zu können. Wie im Stuttgarter Westen sei örtlich aber ein Versorgungsgrad von 70 Prozent notwendig, sagt Kuhn. Bei der Einrichtung von Räumen erwartet er weniger Probleme, bei der Suche nach Erzieherinnen aber werde es schwierig. Die Hauptstadtzulage für sie wolle er prüfen, allerdings kämen dann auch schnell andere Mitarbeiter der Stadt in den Blick – und erhöhte Kosten. „Vielleicht wäre es die schlankeste Lösung, wenn wir die Erzieherinnen mit Wohnungen unterstützen“, sagt Kuhn. Im Übrigen gilt Paragraf 1 des Noch-nicht-Oberbürgermeisters: Man werde prüfen. Versprochen sei noch nichts.

Ausbau der Kinderbetreuung hat Vorrang

Als Politiker mit reicher Erfahrung aus Landtag, Bundestag und Parteigremien nimmt er auch den Bund ins Visier. Der sollte bezahlen, was er bei den Kommunen an Leistungen bestelle, fordert Kuhn. Damit die Interessen der Städte nicht zwischen Bund und Land untergehen, bräuchten sie eine starke Organisation. Auch dafür müsse sich ein Stuttgarter OB in den Spitzenverbänden wie dem Städtetag einsetzen.

Bei aller Vorsicht, was die Finanzen der Landeshauptstadt angeht, könnte sich Kuhn neben dem vorrangigen Ausbau der Kinderbetreuung auch noch einige kleinere Ergänzungen bei der Kultur vorstellen. Eine Stadt wie Stuttgart müsse im Filmbereich eine bessere Anlaufstelle haben. Sie brauche kein kommunales Kino wie Biberach, in dem man Kunstfilme einspielt, sondern ein Filmhaus für die Auseinandersetzung mit der Kunst des Filmes. Zudem fehle es der Subkultur an Räumen. Da müsse man „ein bisschen was machen“.

Doch das sind eher die kleinen Dinge im Leben eines Oberbürgermeisters. Wichtiger ist die große Linie. Und da will Kuhn bei der Bürgerbeteiligung neue Wege gehen. In acht Jahren, wenn für ihn im Rathaus Schluss sein wird, soll Stuttgart „stärker als Bürgerstadt dastehen, die auf der Schiene von Ökonomie und Ökologie noch mehr leistet“.