Trotz aller Verschleißerscheinungen: Rafael Nadal stellt sich der Herausforderung French Open. Foto: AP

Vor 14 Jahren begann die Tennis-Ikone Rafael Nadal mit seiner Dominanz Angst, Schrecken und Ehrfurcht unter seinen Gegnern im Sand zu verbreiten. Der Blick auf eine Erfolgsgeschichte.

Paris - Boris Becker muss nicht lange überlegen, um die Dinge einzuordnen. Paris, die French Open, der Herren-Wettbewerb: „Das ist das Reich von Rafael Nadal“, sagt Becker, „keiner hat dieses Turnier so beherrscht wie er“. Aber, Halt, Becker muss das noch schnell ergänzen: „Keiner hat irgendein Grand-Slam-Turnier, überhaupt eine Tennis-Disziplin so beherrscht wie er.“ Ab Sonntag wird auch Becker dabei sein, wenn Nadal den nächsten Anlauf zum Triumph nimmt. Becker ist zwei Wochen als Eurosport-Kommentator im Einsatz, er hat einen Logenplatz am Center-Court, von dem aus er beobachten wird, wie sich Nadal schlägt. Wie er seine Gegner schlägt und zermürbt. Und wie er womöglich seinen sage und schreibe zwölften Titel gewinnt. „Natürlich ist er der Favorit, wer sonst“, sagt der sechsmalige Grand Slam-Champion, „aber abgerechnet wird schon noch auf dem Platz“.

Burgsmüller schwärmt von der Wucht

Vor 14 Jahren fing alles an mit Nadal. Mit seinem Siegeszug, mit seiner Dominanz, mit einer Attitüde, Angst und Schrecken und Ehrfurcht unter seinen Gegnern im Sand zu verbreiten. Lars Burgsmüller war der allererste Gegner Nadals, in der ersten Runde der French Open 2005. Burgsmüller ist längst nicht mehr in der Karawane der Profis unterwegs, er hat nach seiner Karriere Medizin studiert und 2016 zum Thema „Epidemiologie von Verletzungen im Inlineskater-Hockey und Rollhockey“ promoviert. Die Universität Duisburg-Essen hob seine Arbeit sogar hervor, würdigte, dass Burgsmüller ein Beispiel dafür sei, „dass sich Spitzensport und Spitzenmedizin nicht ausschließen“. In einem „WAZ“-Bericht über Burgsmüller lautete vor zwei Jahren die Schlagzeile „Vom Tennisprofi zum Lebensretter“. Gegen Nadal damals rettete nichts und niemand den smarten Berufsspieler, mit „unglaublicher Wucht“ sei der spanische Teenager beim 1:6, 6:7, 1:6 aufgetreten, sagte Burgsmüller seinerzeit. Es war auch sein letztes Spiel in Paris, das Spiel gegen Nadal.

Alleingang des bulligen Mallorquiners

Aber weder er noch irgendein Experte konnte ahnen, was nach diesem Erstrundensieg mit und für Nadal passieren würde. Nämlich ein fast ungebremster Alleingang des bulligen Mallorquiners bis heute, 86 Siege und nur zwei Niederlagen – 2009 im Achtelfinale gegen den Schweden Robin Söderling und 2015 gegen Novak Djokovic in der Runde der letzten acht. Nadal, der Anfang Juni 33 Jahre alt wird, hat seinen Körper gequält und geschunden, die Verschleißerscheinungen sind unübersehbar, viele Turniere übers Jahr kann er gar nicht mehr zu Ende spielen. Aber zu den French Open war er – mit Ausnahme des Jahres 2016 – noch immer bereit und mehr als willens, sich der Herausforderung zu stellen. Unter dem inzwischen üblichen Motto: einer gegen alle.

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Mit Rückenwind in die French Open

Mehr noch als in anderen Spielzeiten hatte man in den vergangenen Wochen geglaubt, Nadals Vorherrschaft sei womöglich vorüber. Seine Vorbereitungszeit war holprig, er gewann zunächst keine Titel, er zweifelte an sich selbst, mehr noch als sonst, schließlich ist Nadal gern ein Zweifler, ein Grübler. Aber beim letzten großen Turnier vor den French Open war der Dominator in Rom plötzlich wieder als Siegertyp in voller Pracht da, es zeigte sich, dass es nie lohnt, ihn abzuschreiben. Und schon gar nicht vor dem Treffen der Besten im Stadion Roland Garros. „Ich gehe jetzt doch mit einer Menge Rückenwind in die French Open“, sagt Nadal selbst.

Federer als unbekannte Größe

Wobei nicht zu vergessen ist: Es gibt eben auch den Blickwinkel all der anderen, des gesamten Verfolgerfeldes. Und da kann schon gesagt werden, dass der Kampf um die Krone offener, spannender und unterhaltsamer zu werden verspricht. Djokovic, der Österreicher Dominic Thiem, sie sind näher dran an Nadal als in früheren Jahren. Federer kommt als unbekannte Größe hinzu, er zeigte sich nach zwei Jahren Sandplatzabstinenz in guter Verfassung. Ob es hilft, wenn es in Paris gegen Nadal zur Sache geht, steht auf einem anderen Blatt. Im vergangenen Jahr war Alexander Zverev der härteste Konkurrent für Nadal, er war neben Nadal der erfolgreichste Spieler vor den French Open. Doch dann verschleuderte der Deutsche zu viele Energien in den Pariser Auftaktrunden, gegen Thiem, den späteren Endspielteilnehmer, war er im Viertelfinale überfordert. Nun verliefen Zverevs Sandplatzwochen mittelmäßig, ein bisschen Selbstbewusstsein sammelte er aktuell bei seinem Last-Minute-Start in Genf. Es wäre aber schon eine Überraschung, wenn er sein Vorjahresergebnis einstellen oder gar übertreffen würde.