Das Gelände ist verlassen. Es wirkt gespenstisch schön. Foto: Qingwei Chen

Das Werzalit-Gelände mitten im Ort liegt seit der Insolvenz quasi brach, erzählt aber immer noch Geschichten.

Oberstenfeld - Vereinzelt stehen Autos auf dem Parkplatz vor dem großen Tor, das man durchqueren muss, um auf das Werzalit-Gelände zu kommen. Auch das ein oder andere Fahrrad steht da. Von richtiger Betriebsamkeit ist jedoch nichts zu spüren, als sich Wolfgang Matt, Vorstandsmitglied der Volksbank Backnang, und Oberstenfelds Bürgermeister Markus Kleemann zusammen mit mir auf einen Spaziergang aufmachen in fast vergessene Zeiten, könnte man sagen. Denn keine 50 Schritte sind getan, als wir in der „Tischplattenstraße“ in eine völlig andere Welt eintauchen. In eine Welt, in der man die einstigen 350 Mitarbeiter fast vor seinem inneren Auge herumwuseln sehen kann. Dabei, wie sie an den Maschinen arbeiten, Produkte verladen oder im Pausenraum plaudern. Es wirkt, als ob die Welt auf diesem Gelände vom einen Moment auf den anderen einfach eingefroren wurde und die Maschinen und Räumlichkeiten nur auf die Rückkehr der Menschen warten. Auf der einen Seite steht Verpackungsmaterial, auf der anderen liegen Holzpaletten. In den riesigen Hallen findet man bei genauem Hinschauen sogar noch die alten Stechkarten der Mitarbeiter. Auch Zigarettenstummel liegen noch im Aschenbecher. Alles wirkt surreal. Denn: Jeder Winkel auf diesem Gelände scheint eine Geschichte zu erzählen.

Etwa davon, wie Werzalit in den 30er-Jahren in Oberstenfeld begann – in einem heute winzig anmutenden Verwaltungsgebäude. Oder davon, wie sich die Firma zu einem Weltunternehmen mauserte, „zu dem jeder Oberstenfelder irgendeinen Bezug hatte. Entweder haben die Leute selbst dort gearbeitet, jemand aus der Familie oder ein Freund. Werzalit war die Firma des Ortes“, sagt Bürgermeister Markus Kleemann. Wolfgang Matt von der Volksbank Backnang, deren Tochterfirma Levkas das Gelände vom Insolvenzverwalter gekauft hat, ergänzt: „Es hieß hier früher sogar: ‚Wenn der Werz hupt, dann kommst du heim’. Damals wurde gehupt, wenn die Schicht zu Ende war.“ In den vergangenen Jahren ist es nun meist ganz ruhig auf dem rund elf Hektar großen Areal. Von der Hupe ist nichts mehr zu hören. Staub und Rost dominieren. Die ein oder andere Halle dient aktuell zwar als Lager für Auswärtige. Und in einem Gebäude ist Werzalit Deutschland untergebracht, von wo aus alles rund um die Insolvenz abgewickelt wird. Ansonsten ist es ruhig. Gespenstisch still zum Teil sogar. „Es ist sehr schade um die Arbeitsplätze. Aber wir sehen jetzt die Chance, die sich hier bietet, und versuchen, das Beste aus der Situation zu machen“, sagt Kleemann. Das Beste heißt: In ein paar Jahren sollen hier hunderte, ganz am Ende sogar um die 1000 Menschen leben.

„Das Gelände ist ein wahres Filetstück. Hier kann man etwas Tolles draus machen“, schwärmt Wolfgang Matt und blickt sich um. Hinter den großen Türmen thront die Burg Lichtenberg, am Ende eines anderen Weges blickt er in die grüne Gronauer Aue, und ein paar Meter weiter steht er direkt an der Bottwar. „Das Besondere hier ist, dass wir neben der Idylle auch die direkte Anbindung an den Ort haben. Die Ortsmitte ist nicht weit“, erklärt er und dreht sich um seine eigene Achse. Wo heute verrostete Maschinen stehen, könnte in ein paar Jahren ein Spazierweg durch das Areal sein, entlang am Wasser. Oder aber eine Wohnanlage.

„Wie es hier einmal aussehen wird, ist jetzt die große Herausforderung. Die Gemeinde muss einen Bebauungsplan aufstellen, dann müssen wir alles entwickeln, ehe wir das Projekt wohl in drei bis vier Bauabschnitten angehen können“, erklärt Wolfgang Matt. Markus Kleemann ergänzt: „Oberstenfeld ist mit Sicherheit eine der Gemeinden mit den größten Entwicklungschancen im Landkreis Ludwigsburg in den nächsten zehn Jahren – dank dieses Geländes. Dieses wird den Ort die nächsten Jahre prägen.“ So wie es bereits zahlreiche Menschen in der Vergangenheit geprägt hat – und deren Spuren heute auch noch an jeder Ecke spürbar sind.