Anna Bergmann hat in wenigen Wochen vorgeführt, dass es genug tolle Theaterfrauen gibt. Foto: Staatstheater

Die Schauspieldirektorin Anna Bergmann arbeitet in Karlsruhe nur mit Regisseurinnen – und wird vom Publikum und der Presse bejubelt.

Karlsruhe - Plötzlich war der Begriff in aller Munde: Man habe das „Feminat“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe ausgerufen. Noch bevor Anna Bergmann ihren neuen Posten als Schauspieldirektorin angetreten hatte, unkten schon einige, sie sei eine Männerhasserin. „Das ist absurd“, sagt die Vierzigjährige, „man ist doch keine Männerhasserin, nur weil man sich für Frauen entscheidet.“ Aber diese Entscheidung ist durchaus radikal. Anna Bergmann arbeitet in ihrer ersten Saison in Karlsruhe ausschließlich mit Regisseurinnen.

Aber gibt es überhaupt genügend Regisseurinnen, um eine komplette Spielzeit mit ihnen zu bestreiten? Und vor allem: Taugen die Damen etwas in dieser von Männern dominierten Sparte? „Es ist gar nicht so schwierig“, sagt Anna Bergmann. Sie war viel unterwegs, auch im Ausland, wo sie interessante Kandidatinnen entdeckt hat, etwa die spanische Gastregisseurin Alia Luque, die dem Staatstheater Karlsruhe mit „Europa flieht nach Europa“ einen fulminanten Auftakt bescherte. Luque verwandelte das „dramatische Gedicht“ von Miroslava Svolikova in eine rasante, höchst komische Fantasie über die Nöte Europas.

Täglich trudeln Bewerbungen von interessanten Regisseurinnen ein

Inzwischen trudeln bei Anna Bergmann tagtäglich Bewerbungen ein, denn es hat sich herumgesprochen, dass am Schauspiel Karlsruhe eine kleine Revolution eingeläutet wurde. Schließlich werden nur 22 Prozent der deutschen Theater von Frauen geleitet. Siebzig Prozent der Inszenierungen stammen von männlichen Regisseuren. Nicht so in Karlsruhe. „Es gibt ganz tolle Nachwuchsregisseurinnen, die sich bei uns bewerben“, sagt Anna Bergmann und hat bereits beschlossen, dass sie auch in der zweiten Saison den Kolleginnen den Vortritt lassen wird. Denn die Resonanz auf das Konzept der neuen Schauspieldirektorin ist enorm. In der überregionalen Presse wurde Bergmanns Start begeistert kommentiert – auch ihre eigene Inszenierung „Nora, Hedda und ihre Schwestern“ wurde gefeiert. In dem Projekt wurden die drei großen Frauen-Dramen von Henrik Ibsen zu einer Familiensaga verbunden, präsentiert auf einer ambitionierten Simultanbühne.

Mehr Publikum, mehr Einnahmen

Das Publikum scheint schnell warm geworden zu sein mit der Neuen – und Bergmann ist überzeugt, dass es am „Feminat“ liegt, wobei der Begriff nicht von ihr stammt. Bei einer „extremen Setzung“ könne sich das Publikum besser orientieren als bei einem „Gemischtwarenladen“. Wer etwas ändern wolle, müsse das „erst mal zu hundert Prozent tun, damit man eine Aufmerksamkeit bekommt“, meint Bergmann und sieht sich bestätigt. „Dieser Mut wird bis jetzt sehr belohnt. Wir haben mehr Publikum, mehr Auslastung, mehr Einnahmen.“

Anna Bergmann ist keine Einzelkämpferin. Sie arbeitet mit „Ko-Kuratorinnen“, wie sie es nennt, ihre Stellvertreterin ist die Dramaturgin Anna Haas, die zuvor am Schauspiel Stuttgart tätig war. Die Riege der weiblichen Dramaturginnen will Bergmann alsbald um einen Mann erweitern. „Wir wollen ein bisschen diverser werden, auch was die Herkunft der Menschen betrifft.“

Das Ziel sind fünfzig Prozent Schauspielerinnen im Ensemble

Bergmann hat aber noch mehr vor. Sie will langfristig auch ein Ensemble aufbauen, in dem beide Geschlechter gleichmäßig vertreten sind. „Das ist bei den meisten Theatern noch weit in der Ferne“, sagt sie, „weil die meisten Rollen und der Hauptcast immer Männer sind.“ Deshalb wird sie auf der kleinen Bühne Klassiker spielen, in denen die Figuren auch mal mit dem anderen Geschlecht besetzt werden. Außerdem sucht Bergmann Stücke von Autorinnen, was nicht einfach ist. „Es gibt eine Handvoll, die immer wieder gespielt wird“, sagt sie und hofft, im Ausland fündig zu werden. Romane von Frauen auf die Bühne zu bringen, ist für Bergmann keine Option. „Ich mag klassische Stücke.“

So könnte Anna Bergmann gelingen, was sie schon lange wollte. Sie wurde 1978 in Ostdeutschland geboren, hat an der Ernst-Busch-Schule in Berlin Regie studiert und später noch ein Aufbaustudium Theatermanagement draufgesattelt, um eines Tages im Theaterbetrieb Dinge bewegen zu können. Sie hält nicht viel von der Vorstellung, dass Frauen und Männer völlig unterschiedlich arbeiten, dass Frauen womöglich eher Handwerkerinnen und Männer Künstler seien, wie gelegentlich behauptet wird. Möglicherweise sei der weiblicher Blick auf die Welt aber doch ein anderer, vermutet Bergmann – und hat schon nach den ersten Monaten am Staatstheater Karlsruhe vorgeführt, dass dieser weibliche Blick den Theaterbetrieb enorm verändern kann.