Der Nationalratssaal in Bern: Hier tagen die Schweizer Parlamentarier. Foto: Parlamentsdienste 3003 Bern

Im Parlament der Schweiz sitzen deutlich mehr Frauen als im Bundestag. Ein Interview mit der Schweizer Abgeordneten Franziska Ryser über die Frage, wie sich dadurch die Diskussionskultur verändert.

Bern - Die Schweizer haben ein neues Parlament gewählt. Nicht nur der Anteil der Grünen ist darin stark angewachsen. Es wurden auch viele Frauen gewählt – so viele wie noch nie. Was bedeutet diese neue „Frauenpower“ für die politische Arbeit im Nationalrat? Wir fragten Franziska Ryser (28), Ingenieurin für Robotik und frischgewählte Grüne aus St. Gallen.

Franziska Ryser Foto: Regina Kühne
Jung, Grün, Frau: Ist das momentan das Erfolgsrezept, um in der Schweiz ins Parlament gewählt zu werden, Frau Ryser?

Bei den letzten Wahlen gab es tatsächlich eine erfreuliche Entwicklung hin zu einem jüngeren, grüneren und weiblicheren Parlament. Aber dieser Zuwachs relativiert sich, wenn man sieht, wie wenig Frauen in der letzten Legislaturperiode vertreten waren: Damals lag der Frauenanteil gerade einmal bei 31,7 Prozent im National-, und bei 13 Prozent im Ständerat. Und nur zwei Prozent der Abgeordneten war unter 30 Jahre alt. Somit war der Wahlausgang eine Korrektur hin zu einer angemessenen Vertretung der Bevölkerung.

Aber wie schafften es plötzlich so viele Frauen mehr in den Nationalrat?

Im Nationalrat gab es über die letzten Jahre einen langsamen, aber stetigen Anstieg des Frauenanteils. Dieses Jahr hat sicherlich auch die erstarkende Frauenbewegung, mit dem nationalen Frauenstreik als Höhepunkt diesen Sommer, ihren Beitrag dazu geleistet. Mit verschiedenen Kampagnen wie «Helvetia ruft« wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es mehr Frauen in der Politik braucht. Die Frauensolidarität wurde gelebt: ich habe von Frauen aus verschiedenen politischen Lagern gehört, dass sie bewusst nur Frauen ihre Stimme gegeben haben. Zudem sind die Grünen nicht nur eine Klimapartei, die Gleichstellung war von Beginn weg eines der Kernanliegen. Deshalb betitelte eine Schweizer Wochenzeitung die grüne Bewegung als «Avantgarde der Gleichstellungspolitik».

Mit 42 Prozent liegt der Frauenanteil im Nationalrat jetzt deutlich über dem Wert des Deutschen Bundestags. Dessen Frauenquote derzeit bei gerade mal 30,7 Prozent liegt. Wie erklären Sie sich das, zumal ja das Frauenwahlrecht in der Schweiz erst 1971 eingeführt wurde?

Gerade weil wir in der Schweiz beim Thema «Frauen in der Politik» etwas aufzuholen hatten, wird seit Jahren aktive Frauenförderung betrieben: Listen werden mit ausgeglichenen Geschlechterverhältnissen zusammengestellt, und gute Listenplätze werden bewusst mit Frauen besetzt. Das ist notwendig, damit bei den nationalen Wahlen auch ausreichend erfahrende Kandidatinnen bereitstehen.

Wie glauben Sie, werden sich die Politik und die Arbeit im Parlament durch den höheren Frauenanteil Ihrer Ansicht nach verändern?

Die Diskussionskultur wird wohl etwas ruhiger, ich denke, man wird sich mehr zuhören. Insbesondere aber wird die Gleichstellungspolitik einen neuen Stellenwert erhalten. In der alten Parlamentszusammensetzung war es das höchste der Gefühle, den gesetzlichen Vaterschaftsurlaub von einem Tag auf zwei Wochen zu erweitern. Von Elternzeit, wie es sie in Deutschland gibt, sind wir noch weit entfernt.

Was können Frauen besser in der Politik als Männer, was machen Sie anders?

Es gibt gute Politikerinnen, wie es gute Politiker gibt. Im schweizerischen System ist Kompromissbereitschaft jedoch wesentlich. Da alle großen Parteien in der Regierung vertreten sind, gibt es keine Oppositionsrolle. Konziliante Politikerinnen können sich mitunter erfolgreicher durchsetzen als lautstarke Politiker.