Mit Fahndungsplakaten wie diesen sucht die französische Polizei nach Redoine Faid Foto: AP

Nach seiner Flucht aus dem Gefängnis von Réau narrt Redoine Faid die französischen Sicherheitskräfte erneut.

Paris - Wäre er nur Einbrecher, er hätte es niemals zu Frankreichs meistgesuchtem Verbrecher gebracht. Aber Redoine Faid ist eben auch Ausbrecher. Vorstadtjugendliche himmeln ihn an. Was gäben sie dafür, wenn sie sich in ihrem von Armut, Arbeitslosigkeit und Gewalt geprägten Alltag der Polizei so genial entziehen könnten wie der 46-jährige Franko-Algerier mit den vollen Lippen, den dichten Brauen und dem kahlen Schädel.

Die bisher letzte Probe seines kriminellen Könnens lieferte der mit neun Geschwistern in einem Mietskasernenviertel von Creil aufgewachsene Gangster Mitte der Woche. Nördlich von Paris war er mit einem seiner Brüder im Auto unterwegs. Im Kofferraum lag von Ein- und Ausbrechern geschätztes Arbeitsmaterial: Plastiksprengstoff, Benzin, Zünder, falsche Autokennzeichen.

Da Faid sich nicht nur über Gefängnismauern und Straßensperren hinwegzusetzen pflegt, sondern auch über Verkehrsregeln, zog er die Aufmerksamkeit einer Polizeistreife auf sich. Von den Ordnungshütern als gefälscht erkannte Nummernschilder erhöhten das Interesse am Fahrzeug und seinen Insassen noch. Die Beamten schritten zur Tat, hießen den Mann am Steuer rechts ranfahren. Die Ertappten hielten das für wenig ratsam und gaben Gas. Eine Verfolgungsjagd folgte, an deren Ende Faid in der Falle zu stecken schien. In das Parkhaus eines Einkaufszentrums der Pariser Vorstadt Sarcelles war er gerast. Aber dann kam es eben wie so oft. Der Staatsfeind Nummer eins schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

Anfang Juli bricht Faid aus dem Gefängnis aus – zum zweiten Mal

Gemessen an seinem jüngsten Ausbruchscoup war die Flucht vom Dienstag freilich ein Kinderspiel gewesen. Als der wegen bewaffneten Raubüberfalls einsitzende Faid am 1. Juli dem Gefängnis von Réau den Rücken kehrte, bedurfte es ganz anderer Mittel und Fähigkeiten. Drei Komplizen hatten für jenen Tag einen Flug mit einem Helikopter gebucht. Sie zwangen den Piloten, in einem kleinen Innenhof des südlich von Pariser gelegenen Gefängnisses zu landen. Das Gesicht vermummt, eine Maschinenpistole in der Hand, bahnten sich die Befreier mit Kreissägen den Weg zum Besuchertrakt, wo Faid mit einem seiner Brüder zusammengekommen war. Rauchbomben zündend stürmte das Trio mit dem Häftling zum Hubschrauber. Nach zehn Minuten war alles vorbei. Zurück blieb verwirrtes, eingeschüchtertes Wachpersonal. Mehrere Tausend Polizisten versuchen seither, dem Ausbrecher auf die Spur zu kommen. Sie glauben, dass Jugendfreunde aus Creil Faid zur Freiheit verholfen haben. Und sie hoffen, dass der Gesuchte Geld braucht, den nächsten Raubüberfall verüben und Spuren hinterlassen wird.

So spektakulär die Flucht aus Réau indes auch war, niemand ist dabei zu Schaden gekommen. Dass Faid eine Schusswaffe bei sich zu tragen pflegt, wenn er Geldtransporter überfällt, Bankdirektoren kidnappt oder ausbricht, heißt nicht, dass er auch gern schießen würde. In der minutiösen Planung, die seinen Verbrechen vorausgeht, ist Blutvergießen nicht vorgesehen.

Faid sieht sich selbst als Gentlemen-Räuber

Faid begreift sich nicht als Brutalo. Er sieht sich als Gentleman. Gerichtspsychiater bescheinigen ihm, dass er besitzt, was einen solchen auszeichnet: „Charme, Charisma, Intelligenz.“ Gefängniswärter attestieren ihm „gute Manieren“. Dass er hinter Gittern seine Biografie verfasst hat, Titel: Einbrecher, passt ins Bild. Dass er weder raucht noch trinkt, gern gesehener Gast bei Fernseh-Talkshows ist, ebenfalls.

Einmal nur sind die Dinge außer Kontrolle geraten. Im Mai 2010 kam nach einem Raubüberfall bei der sich anschließenden Verfolgungsjagd eine Polizistin ums Leben. Im Juni 2011 wurde Faid festgenommen und zu 25 Jahren Haft verurteilt. Mit einem Jahr und zehn Monaten hinter Gittern sollte es sein Bewenden haben. Im April 2013 brach Faid aus. Mit in der Zelle gehortetem Sprengstoff und einer Pistole bahnte er sich in der Strafvollzugsanstalt von Lille den Weg nach draußen, legte fünf Gefängnistore in Schutt und Asche.

Und wenn der von der Polizei als „bewaffnet und extrem gefährlich“ zur Fahndung Ausgeschriebene eines Tages doch in die Falle gehen, wenn er gar im Kugelhagel der Verfolger sein Leben lassen sollte? Dann wird es wohl so kommen, wie Faid es aus dem Hollywood-Streifen „Heat“ kennt, den er gut ein Dutzendmal angeschaut hat. In der Schlussszene feuert Polizeichef Vincent Hanna (Al Pacino) die tödliche Kugel auf Gangsterboss Neil McCauley (Robert De Niro), ergreift respektvoll die Hand des Sterbenden, der ihm bis zuletzt ein ebenbürtiger Widersacher gewesen war.