Der fiktive Milchproduzent Rolf Koch. Foto: BR;Claussen+Putz Filmproduktion GmbH

Im „Tatort“ aus Franken wird ein Milchproduzent freigesprochen, obwohl er mit Dioxin verseuchte Milch verkauft und so eine Totgeburt verursacht hat. Was steckt hinter dem Paragrafen 44, um den sich der Film dreht?

Stuttgart - „Unfassbar, Hast Du das gewusst?“, fragt Kommissar Felix Voss seine Kollegin, nachdem er ihr den Paragraf 44 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches erklärt hat. Wahrscheinlich ging es vielen Zuschauern des Franken-„Tatort“ am Sonntag wie den Kommissaren Voss und seiner Kollegin Paula Ringelhahn: Von dem Gesetz, geschweige denn von dem umstrittenen Paragrafen, haben Sie noch nie gehört.

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Besagter Paragraf 44 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches birgt reichlich Zündstoff. Im „Tatort“ wird deswegen ein Milchproduzent freigesprochen, der mit Dioxin verseuchte Milch in Umlauf gebracht hatte. Ein Paar verliert wegen der Milch sein ungeborenes Baby – und zettelt einen Rachefeldzug an, bei dem mehrere Menschen umgebracht werden.

Dioxin ist ein Sammelbegriff für giftige chemische Stoffe, die bei Verbrennungsprozessen entstehen können. Über die Umwelt gelangen sie in Futtermittel und werden vom Menschen hauptsächlich über tierische Lebensmittel wie Eier, Fleisch- oder Milchprodukte aufgenommen. So hatte es 2010 zum Beispiel einen Skandal um dioxinbelastete Eier und kontaminiertes Futterfett gegeben.

Was Selbstanzeigen bringen

Der Paragraf, über den auch Kommissar Felix Voss staunt, enthält – im Zusammenspiel mit anderen Verordnungen, auf die der Gesetzestext Bezug nimmt – folgendes: Hat ein Lebensmittelunternehmer Grund zur Annahme, dass ein Lebensmittel nicht den Regelungen zur Lebensmittelsicherheit entspricht, also etwa mit gesundheitsschädlichen Stoffen belastet ist, muss er die zuständige Behörde unverzüglich unterrichten. Zusätzlich steht in besagtem Paragraf 44 aber auch: „Eine Unterrichtung (...) darf nicht zur strafrechtlichen Verfolgung des Unterrichtenden oder Übermittelnden (...) verwendet werden.“

Was Zuschauern auf den ersten Blick als ungerecht erscheinen mag, ist in Wirklichkeit komplizierter. Die Regelung, dass vom Täter selbst zur Verfügung gestellte Informationen strafrechtlich nicht verwendet werden dürfen, gebe es auch in anderen Bereichen wie etwa bei Behandlungsfehlern, die ein Arzt seinen Patienten offenbart, sagt der Lebensmittelrechtler Tibor Scholtz aus Stuttgart. Der Hintergrund ist laut Scholtz, dass der Staat Selbstanzeigen ja nutzen möchte, um in der Zukunft präventiv zu wirken – zum Beispiel, um vermehrt die Lebensmittelhygiene zu kontrollieren. Deshalb hat der Staat ein Interesse an Selbstanzeigen.

Der Paragraf bezieht sich nur auf’s Strafrecht

Wichtig ist aber auch: Das Verbot, die Informationen zu verwenden, bezieht sich nur auf das Strafrecht. Ob die Frau mit der Totgeburt den Milchproduzenten auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld verklagt hat, wird im Tatort nicht erwähnt. Das fiele in den Bereich des Zivilrechts. Hier könnten die Informationen aus der Mitteilung des Produzenten an die Behörden durchaus verwendet werden.

Christiane Manthey leitet bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg die Abteilung Lebensmittel und Ernährung. Sie ergänzt: Falls gar keine Behördeninformation und Information der Öffentlichkeit sowie ein Rückruf stattgefunden hat, vertusche der Unternehmer das Geschehen möglicherweise. In so einem Falle greife der entsprechende Paragraf 44 von vorneherein nicht.

Wie die Sache bei dem fiktiven Milchproduzenten Rolf Koch konkret abgelaufen ist, wird im „Tatort“ nicht eindeutig dargestellt. Unterm Strich gilt deshalb: Den besagten Paragrafen gibt es zwar. In der Realität dürfte er aber selten zu einem so brisanten Fall wie im „Tatort“ führen.