Bei Chips springt die Ampel sofort auf Rot. Wehe dem, der dann einfach weiterisst. Foto: dpa

In diesen unruhigen Zeiten suchen viele Kunden nach Orientierung. Höchste Zeit, dass ihnen jemand den Weg weist.

Stuttgart - Wir leben in verwirrenden Zeiten. Wursthersteller werben für vegetarischen Aufschnitt, notorische Datenkraken wie Google oder Facebook erklären uns, wie wichtig der Schutz unserer persönlichen Daten ist – und der ADAC veranstaltete kürzlich einen „Aktionstag Pedelec & E-Bike“. Wird sich der Automobil-Club demnächst auch noch dafür aussprechen, zugunsten breiterer Radwege Fahrspuren für Autos zu opfern? Vor ein paar Jahrzehnten schien das undenkbar. Damals forderte der ADAC angesichts zahlreicher tödlicher Kollisionen von Autos mit Alleebäumen noch die flächendeckende Abholzung dieser „Todesbäume“.

Schnee von gestern – in der heutigen Zeit scheint fast alles möglich. Und genau das ist das Problem: Am Ende blickt keiner mehr durch. Zum Beispiel beim Einkaufen. Haben Sie schon mal versucht, im Supermarkt die Nährwertinformationen von 28 ähnlichen Joghurtsorten miteinander zu vergleichen, um die gesündeste Variante herauszupicken? Nicht ohne Grund werben Verbraucherorganisationen wie Foodwatch schon seit vielen Jahren für eine sogenannte Lebensmittelampel, die Kunden eine schnelle Orientierung ermöglicht – und in anderen Ländern bereits im Einsatz ist.

Schlappe für Iglo

Die Bundesregierung konnte sich bis jetzt trotzdem nicht dazu durchringen. Deshalb haben in Deutschland neben Iglo, Danone und Bofrost auch einige kleinere Unternehmen begonnen, ihre Produkte freiwillig mit dem sogenannten Nutri-Score zu kennzeichnen. Das ist eine fünfstufige Skala, auf der Produkte mit viel Salz, Fett oder Zucker rot und gesunde Lebensmittel grün gekennzeichnet sind. In der Mitte ist die Skala gelb. Sieht eigentlich ganz nett aus – ist aber zumindest im Fall von Iglo illegal, wie das Landgericht Hamburg im April entschieden hat. Geklagt hatte ein Verein, hinter dem mutmaßlich Lebensmittelhersteller stehen, deren Produkte aus ernährungswissenschaftlicher Sicht im roten Bereich liegen.

Mittelfristig dürfte sich die Lebensmittelampel trotz solcher Abwehrkämpfe auch in Deutschland durchsetzen. Das wirft allerdings ganz neue Fragen auf. Was passiert mit Verbrauchern, die auch bei Rot ungebremst weiteressen und erwischt werden? Drohen im Wiederholungsfall Punkte in der Ernährungssünderdatei der Krankenkassen? Und kann man einen Teil dieser Punkte durch eine Nachschulung im Weight-Watchers-Trainingscamp wieder loswerden? Strenge gesetzliche Vorgaben führen zudem meist dazu, dass die Industrie nach Hintertürchen sucht, um die Regeln auch ohne große Änderungen einzuhalten. Ein Beispiel dafür sind die Energieverbrauchsangaben von Kühlschränken, die nur dann stimmen, wenn man die Tür permanent geschlossen hält und auch keine Lebensmittel hineinlegt, die erst heruntergekühlt werden müssen. Waschmaschinen werden unter ähnlich realistischen Bedingungen getestet. Noch dreister waren allerdings die Abgastricks, mit denen VW und Co. aus Stickoxidschleudern supersaubere Diesel machten.

Illegale Abschalteinrichtung

Bereits jetzt versuchen Lebensmittelhersteller, ihre Produkte gesünder darzustellen, als sie tatsächlich sind. Mit der flächendeckenden Einführung einer Ampel wird der Aufwand dafür noch einmal deutlich zunehmen. Wir sind gespannt, wann der erste Hamburger oder die erste Chipstüte mit einer illegalen Abschalteinrichtung für den Kalorienzähler aus dem Verkehr gezogen wird. Hier eröffnet sich auch ein neues Betätigungsfeld für die Softwareentwickler aus Wolfsburg, deren Erfahrungen auf dem Gebiet der kreativen Motorsteuerung nun nicht mehr gebraucht werden. Da werden selbst die fettesten Chips im Handumdrehen zur cholesterinsenkenden Reformkost – und bekommen am Ende einen dicken grünen Aufkleber. Wenn der Betrug rauskommt, drohen allerdings Essverbote für Euro-4-Chips, die mehr Fett und Salz enthalten, als die Grenzwerte erlauben.