Sinje Dillenkofer interessiert sich für die Speicherung von Erinnerung: „Case 82“ (2010) Foto: VG Bild-Kunst

Wer bekommt den „Kubus“? Vier Fotografen sind im Rennen um den Kunstpreis der Sparda-Bank und zeigen im Kunstmuseum Stuttgart ihre Arbeiten. Auch das Publikum darf mitstimmen und 5000 Euro vergeben.

Stuttgart - Nicht drei, sondern ausnahmsweise gehen in diesem Jahr vier Kandidaten ins Rennen um den „Kubus. Sparda-Kunstpreis“. Der Preis würdigt interessante Künstlerpositionen aus Baden-Württemberg und befasst sich diesmal mit Fotografie. Bis zum 23. Juni zeigen Sinje Dillenkofer, Peter Granser, Annette Kelm und Armin Linke im Kunstmuseum Stuttgart ihre Arbeiten. Eine Jury wird für eine der Präsentationen den mit 20 000 Euro dotierten Preis vergeben. Aber auch die Besucher dürfen mitstimmen und den mit 5000 Euro dotierten Publikumspreis vergeben. Doch wer sind die Kandidaten? Wir stellen sie vor:

Annette Kelm macht konzeptuelle Fotografie

Eine Blumenvase, die auf einem Beistelltischchen steht, das mag noch angehen. Was aber hat das eigenwillige metallene Gestänge auf dem Klapptisch zu suchen? Doch Antworten darf man von Annette Kelm nicht erwarten. Sie ist in verschiedenen Bereichen der Fotografie unterwegs, macht Porträts, Stillleben, dokumentarische und inszenierte Fotografie, aber belässt ihre Motive doch meist im Vagen. Diese Offenheit ist ihr wichtig, denn Annette Kelm will beim Publikum Assoziationen in Gang setzen.

Zur Fotografie kam Annette Kelm über Umwege. Sie ist 1975 in Stuttgart geboren worden, hat an der Akademie der Bildenden Künste in Hamburg studiert und war zunächst als Malerin und Bildhauerin tätig. Heute lebt sie in Berlin und will mit ihren Fotografien Bild-Traditionen untersuchen – und etwa zeigen, wie bestimmte Inhalte an feste Motive gekoppelt werden. Annette Kelm hat zum Beispiel in Geschichtsmuseen recherchiert für ihre Serie „Vitrine zur Geschichte der Frauenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland“. Im Kunstmuseum zeigt sie drei Fotografien solcher Vitrinen, in denen immer eine lila Latzhose hängt als Symbol der Frauenbewegung – und beweist, wie Geschichte durch Bilder transportiert wird.

„Ich kriege meine Ideen oft durch Alltagsbegegnungen“, sagt Annette Kelm. So war sie in Los Angeles mit der Kamera unterwegs, als plötzlich ein Reiter vorbeikam – und sie inspirierte, ein lebendes Reiterstandbild zu inszenieren, das nun in der Ausstellung zu sehen ist. Weil im Hintergrund der Szene eine Fächerpalme wuchs, hat Kelm dem Reiter kurzerhand einen Fächer in die Hand gedrückt.

Sinje Dillenkofer interessiert sich für Dinge, die Erinnerungen speichern

Als sich eine Bank für die Fotografien von Sinje Dillenkofer interessierte, initiierte die Stuttgarter Künstlerin ein besonderes Projekt. Sie wollte nicht einfach Kunst für die Bank schaffen, sondern die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern miteinbeziehen – und fotografierte die Fußsohlen des Teams. Im Kunstmuseum Stuttgart hängen die Aufnahmen der Fußsohlen nicht nur nach Geschlechtern getrennt an der Wand, sondern die einzelnen Fotografien wurden entsprechend ihrer Position im Unternehmen vergrößert. Die Verteilung der Macht ist deutlich: „Hier die Platzhirsche und dort die fleißigen Damen, die das Basement bilden“, sagt Sinje Dillenkofer.

Dillenkofer, 1959 geboren, lebt in Stuttgart, wo sie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste studiert hat. Im Kunstmuseum zeigt sie verschiedene Werkserien. Eine große Wand im Kubus ist dicht behängt mit Aufnahmen von Ground Zero aus der Vogelperspektive. Die quadratischen Spuren am Boden, sagt Dillenkofer, könne man als abstrakte Bilder betrachten, man könne sich aber auch mit den Hintergründen der Motive befassen.

Der Schwerpunkt ihrer Präsentation liegt aber auf den „Cases“. Seit 2001 fotografiert Sinje Dillenkofer Behältnisse, seien es leere Besteck- oder Geschirrkästen aus Museen, Revolverschachteln oder Archivbehälter, die nur noch ahnen lassen, was in ihnen aufbewahrt wurde. Sie sei Fotografin geworden, um etwas über das Wesen des Menschen zu erfahren, sagt Dillenkofer, und ein Bedürfnis des Menschen sei es, Dinge zu bewahren. „Es ist eine tolle Chance, am Ort, wo es um Erinnerung und Bewahren geht, auf das Abwesende zu verweisen.“

Peter Granser hat das Wachstum chinesischer Städte dokumentiert

Es herrscht dicke Luft. Als der Fotograf Peter Granser vor zehn Jahren nach China reiste, faszinierte ihn das gigantische Wachstum der Städte. So begleitete er mit der Kamera, wie in rasendem Tempo Wolkenkratzer hochgezogen wurden und Stadtteile entstanden. Doch das Wachstum, das Peter Granser dokumentierte, hat seine Kehrseite, wie der Stuttgarter Fotograf in seiner Serie „Heaven in Clouds“ auf poetische Weise zeigt: Die großformatigen Fotografien wirken wie abstrakte Gemälde. Tatsächlich handelt es sich dabei aber um das Licht von Neonwerbung, das im Smog der Städte verschwimmt.

Der in Stuttgart lebende Granser wurde 1971 geboren und ist als Amateur zur Fotografie gekommen. Bekannt wurde er mit Serien wie „Coney Island“, in der er den in die Jahre gekommenen amerikanischen Strandort zeigte. Für „Sun City“ porträtierte er gutsituierte Senioren im Rentnerparadies Sun City, der grössten Seniorenkolonie der USA. Seine Reisen führten Granser aber auch nach Japan, wo ihn die Teezeremonien faszinierten. Deshalb hat er in Stuttgart den Projektraums für Kunst und Tee ITO gegründet hat, in dem ungewöhnliche Ausstellungsformate erprobt werden. Auch im Kunstmuseum hat Granser einen kleinen Teepavillon eingerichtet, in dem er Teezeremonien veranstalten will.

Für den „Kubus“-Kunstpreis hat sich Peter Granser mit ganz unterschiedlichen Serien beworben, darunter Fotografien von reduzierten Naturfragmenten, die in der Slowakei entstanden sind. „Es sind abstrakte Abbilder der Natur“, sagt Granser, die ihm geholfen hätten, mit dem Tod seines Vaters fertig zu werden.

Armin Linke arbeitt mit seinem Fotoarchiv

Armin Linke ist ein Sammler. Im Lauf der Jahre haben sich im Archiv des Fotografen 500 000 Aufnahmen angesammelt. Aus diesem Bestand heraus hat er gemeinsam mit der Fotohistorikerin Estelle Blaschke das Projekt „Image Capital“ entwickelt. Fotografien, so Linkes These, liefern wichtige Informationen über die Welt und haben Einfluss auf soziale, ökonomische und kulturelle Praktiken. Der von Linke gestaltete Ausstellungsraum macht es den Betrachtern nicht leicht – Fotografien, Installationen und Texte umkreisen das Speicherung aus unterschiedlichen Perspektiven. Die digitale Technik habe den Umgang mit der Fotografie verändert und benötigt neue Speicherorte, so Linke, der im Kunstmuseum eine Kodak-Werbung aus den Vierzigerjahren zeigt, die empfiehlt, alles zu fotografieren und den Ausschuss zu verbrennen. Eine Strategie, so Linke, der den heutigen Umgang mit der digitalen Fotografie vorausgenommen habe.

„Es ist auch interessant, dass Mikrofilme erst in Bibliotheken, und dann im Bankensektor eingesetzt wurden“, sagt Linke und zeigt ein altes Lesegerät für Mikrofilme, das in Werkstätten genutzt wurde, um passende Autoersatzteile zu finden.

Armin Linke wurde 1966 in Mailand geboren, war Gastprofessor in Venedig und Professor an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung. Er lebt in Berlin und ist als Fotograf und Filmemacher tätig. Sein Hauptthema ist die Frage, wie der Mensch in die Natur eingreift. In großen Formaten dokumentierte den Abbau von Rohstoffen in Indochina oder den Bau eins Staudamms in China, wobei bei den Aufnahmen häufig die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen.