Einig: Das neue Gesetz ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, finden Sozialministerin Altpeter, TK-Chef Klusen, der Tübinger Klinikchef Königsrainer (re.) und Moderator Reiners. Klicken SIe sich durch die Bildergalerie. Foto: PP

Beim Thema Organspende ist noch viel Aufklärung vonnöten – Werben für den Ausweis.

Stuttgart - Seit drei Jahren schlägt ein fremdes Herz in seiner Brust. Frei heraus erzählt das ein junger Mann in einer Hamburger Schule. Die Schüler haben Fragen. „Hat sich etwas verändert, in der Liebe?“, will ein Junge schüchtern von ihm wissen. „Ich habe die Frau, mit der ich vor der Operation schon zusammen war, nun geheiratet.“ Mit dem neuen Herzen habe sich da nichts geändert. Der Mann mit dem neuen Organ lächelt.

So die Szene aus einem Film, den die Techniker-Krankenkasse (TK) Schulen zur Verfügung stellt. Ein Ausschnitt wird zu Beginn des Forums Gesundheit unserer Zeitung im Stuttgarter Diakonie-Klinikum eingespielt. Was der Film zeigt, wird auch bei der gemeinsamen Veranstaltung von Stuttgarter Nachrichten und TK deutlich: Beim Thema Organspende herrschen viele Unsicherheiten und Ängste.

Rund 12.000 schwer kranke Menschen warten derzeit in Deutschland auf ein Spenderorgan. Allein im Südwesten sind es 1500. Baden-Württemberg ist bei den Organspenden Schlusslicht. Auf eine Million Einwohner kommen im Südwesten lediglich 10,7 Spender, bundesweit sind es 14,7.

Alle Bürger ab 16 werden künftig von Krankenkasse über Organspende informiert

„In Spanien sind es 32“, weiß Alfred Königsrainer. Der Ärztliche Direktor der Universitätsklinik für Allgemeine, Viszeral- und Transplantationschirurgie in Tübingen sitzt neben Landessozialministerin Katrin Altpeter (SPD) und TK-Vorstandschef Norbert Klusen auf dem Podium. In dem südeuropäischen Land ist die Organspende nach der Widerspruchslösung geregelt: Jeder, der sich nicht dagegen ausspricht, gilt automatisch als Organspender. Wäre das nicht auch für Deutschland vorstellbar? Vielleicht irgendwann in Zukunft einmal. Der Bundestag jedenfalls hat gerade anders entschieden. Am vorvergangenen Freitag hat er die sogenannte Entscheidungslösung verabschiedet: Alle Bürger ab 16 Jahren werden künftig regelmäßig von ihrer Krankenkasse über die Organspende informiert. Ob sie sich dann einen Spenderausweis zulegen, bleibt ihnen überlassen.

„Das neue Gesetz gibt uns mehr Möglichkeiten, das Thema Organspende stärker in den Blickpunkt der Menschen zu rücken“, sagt Ministerin Altpeter. Allerdings hätte sie sich detailliertere Regelungen gewünscht: „Die Situationen, in denen vor allem junge Menschen auf das Thema Organspende aufmerksam gemacht werden sollen, gehören konkreter beschrieben.“

Königsrainer geht die Regelung dagegen grundsätzlich nicht weit genug. „Eine Widerspruchslösung wäre uns Ärzten mehr entgegengekommen“, betont er. Der Mediziner befürchtet, dass die Informationsbroschüren der Kassen wenig bis gar nichts bewirken. „Bei der Flut an Werbesendungen, die uns täglich erreicht, versandet das schnell.“ Dass dadurch tatsächlich mehr Organe gewonnen werden können, bezweifelt der Klinikchef.

„Zumindest hätten sich dann mehr Menschen mit Thema auseinandergesetzt“

TK-Chef Klusen steht hinter der Entscheidungslösung. Die Widerspruchslösung hält er in Deutschland auf absehbare Zeit für nicht durchsetzbar. Der Kassenmanager hätte allerdings befürwortet, dass die Bürger sich festlegen müssen auf ein Ja oder Nein. Selbst wenn dann die Gefahr bestanden hätte, dass unsichere Menschen direkt Nein sagen. „Aber zumindest hätten sich dann mehr Menschen mit dem Thema auseinandergesetzt“, so Klusen.

Dass das neue Gesetz ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist, darin sind sich die Podiumsteilnehmer aber auch einig. Um es gewinnbringend umzusetzen, müssten aber noch viele Unsicherheiten und Ängste beseitigt werden. Altpeter betont, wie wichtig es ist, die Menschen früh und umfassend zu informieren, um sie für das Thema zu sensibilisieren. „Es muss zur Normalität werden, dass in den Familien über Organspende gesprochen wird.“

Vor allem die Diskussion über den Hirntod führe zu großer Verunsicherung in der Bevölkerung, sagt Königsrainer. Dabei sei klar: Sei das Gehirn unwiederbringlich zerstört, sei das mit dem Tod gleichzusetzen. Die akribischen medizinischen Vorgaben, nach denen der Hirntod vor einer Organentnahme festgestellt werde, seien über jeden Zweifel erhaben. In diesem Punkt herrsche „mehr als hundertprozentige Gewissheit“.

„Kollegen, die den Hirntod nicht als Tod akzeptieren und Organspende damit ablehnen“

Aber selbst unter Ärzten herrsche Uneinigkeit. „Es gibt noch immer Kollegen, die den Hirntod nicht als Tod akzeptieren und die Organspende damit ablehnen“, so Königsrainer. „Und wenn das schon bei uns nicht durchzusetzen ist, wie sollen wir es den Bürgern vermitteln?“

Dass tatsächlich noch erheblicher Informationsbedarf besteht, zeigen die anschließenden Fragen aus dem Publikum. Eine Frau möchte wissen, ob ein Hirntoter noch Schmerzen empfindet, wenn ihm die Organe entnommen werden. „Nein, Sie spüren nichts“, antwortet Königsrainer. Außerdem werde die Entnahmeoperation durchgeführt wie jede andere – auf Wunsch auch mit Narkose. „Das können Sie zum Beispiel in Ihren Organspendeausweis reinschreiben.“

Ab wann man zu alt für eine Organspende sei, fragt ein anderer Besucher. „Jeder kann Organspender sein“, klären die Experten auf. Bei Nierenspenden gibt es sogar das Programm „Old for old“, bei dem älteren Patienten die Organe älterer Spender transplantiert werden.

Auch nach der Podiumsdiskussion, die Willi Reiners, stellvertretender Politikchef unserer Zeitung, moderiert, ist der Gesprächsbedarf der 100 Besucher groß. Im Foyer des Klinikums tauschen sie sich aus. Karin Kuntermann (70) wurde vor 25 Jahren zum ersten Mal mit dem Thema konfrontiert. Ihre damals 80-jährige Mutter sagte, sie wolle ihre Organe im Fall der Fälle spenden. „Ich bin vor Schreck fast umgefallen und sagte: ‚Mama, du willst dich doch nicht ausschlachten lassen!‘“

Heute trägt Kuntermann selbst einen Organspendeausweis bei sich. Es beschäftige sie bis heute, dass sie den Wunsch ihrer Mutter damals nicht ernstgenommen habe.