Natürliche Geburt oder Kaiserschnitt? Was ist die richtige Wahl? Foto: dpa

Früher war eine Geburt die natürlichste Sache der Welt. Heute ist sie vor allem eines – angstbesetzt. Ein wichtiger Grund für immer mehr Kaiserschnitte. Politiker, Krankenkassen und zunehmend auch Ärzte stemmen sich gegen den Trend, Hebammen sowieso.

Früher war eine Geburt die natürlichste Sache der Welt. Heute ist sie vor allem eines – angstbesetzt. Ein wichtiger Grund für immer mehr Kaiserschnitte. Politiker, Krankenkassen und zunehmend auch Ärzte stemmen sich gegen den Trend, Hebammen sowieso.

Stuttgart - Die Hebammen haben ganze Arbeit geleistet. Respekt! Mit einer hochemotionalen Kampagne haben sie für ihren Berufsstand gekämpft. So konnten sie viele Menschen mobilisieren und durchsetzen, dass künftig die Krankenkassen einen Teil ihrer teurer gewordenen Haftpflichtprämien zahlen müssen. Andere Heilberufler, die sich ebenfalls mit viel Geld gegen mögliche Behandlungsfehler versichern müssen, dürfen davon nur träumen.

Wie nebenbei haben die Geburtshelferinnen dafür gesorgt, dass ganz Deutschland plötzlich darüber nachdenkt, wie Kinder eigentlich zur Welt kommen sollten – auf natürlichem Weg, durch eine vaginale Entbindung, wie seit Menschengedenken; oder per Kaiserschnitt, bei dem das Kind operativ aus der Gebärmutter geholt wird.

Doch auch ohne Hebammenaufstand gehört das Thema auf die gesellschaftspolitische Tagesordnung, dafür sprechen allein schon die nackten Zahlen. Zwischen den Jahren 2000 und 2010 gab es in Deutschland bei Schnittentbindungen eine Steigerung von 31 Prozent. In Baden-Württemberg wurden 2012 von knapp 87 000 Babys, die im Krankenhaus geboren wurden, gut 29 000 oder 33,6 Prozent per Kaiserschnitt geholt (siehe Grafik). Die Zahlen sind erklärungsbedürftig und Grund genug, dem Thema eine Veranstaltung aus unserer Reihe Forum Gesundheit zu widmen.

„Natürliche Geburt – ein Auslaufmodell?“ lautet die Überschrift zur Diskussions- und Fragerunde mit Experten am Donnerstag, dem 3. Juli, um 18.30 Uhr im gerade bezogenen Neubau von Olgahospital und Frauenklinik des Klinikums Stuttgart. Leserinnen und Leser der Stuttgarter Nachrichten sowie alle angehenden Eltern mit Informationsbedarf sind herzlich nach Stuttgart eingeladen.

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Warum gibt es immer mehr Schnittentbindungen? Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten. „Es gibt in Deutschland kein einheitliches Vorgehen bei der Entscheidung darüber, ob ein Kaiserschnitt notwendig ist oder nicht“, erklärt Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte und Autor einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zum Thema. Die Gesundheitswissenschaftlerin und Mitautorin Petra Kolip ergänzt: „Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen ein Kaiserschnitt unumgänglich ist, um das Leben von Mutter und Kind zu schützen.“ In den meisten Fällen gebe es jedoch einen Ermessensspielraum, der offensichtlich ganz unterschiedlich genutzt wird. Das Ergebnis sind regional stark voneinander abweichende Kaiserschnittraten. In Teilen von Rheinland-Pfalz, Bayern und Niedersachsen liegen sie deutlich über 40 Prozent. In den neuen Ländern und insbesondere in Sachsen sind es teils unter 20 Prozent.

Nicht alle Versuche, die insgesamt steigenden Zahlen zu erklären, erweisen sich bei näherer Überprüfung als stichhaltig. Jahrelang hieß es etwa, der Kaiserschnitt komme in Mode, weil die Gebärenden immer älter würden und somit ein größeres Risiko bestehe – für die Frauen selbst wie für ihren Nachwuchs. Neueste Untersuchungen haben das widerlegt und gezeigt, dass die Kaiserschnittrate gerade bei Müttern unter 25 Jahren stark angestiegen ist.

Häufig ist zudem zu hören, die Krankenhäuser seien verantwortlich, da sie ein wirtschaftliches Interesse hätten, mehr Kaiserschnitte vornehmen zu lassen. In der Tat bekommen Kliniken für eine Schnittentbindung zwischen 2300 und 5000 Euro, für eine normale Geburt dagegen nur zwischen 1200 und 1800 Euro. Das heißt aber nicht unbedingt, dass ein Krankenhaus mit vielen Kaiserschnitten ein gutes Geschäft macht. Die Liegezeiten sind nach der Bauch-OP länger, die Betreuung ist intensiver. Da können die Deckungsbeiträge je nach Größe des Krankenhauses stark variieren.

Somit sind die Finanzen eher ein Thema, das die Krankenkassen betrifft. Die mehr als 200 000 Schnittentbindungen pro Jahr in Deutschland belasten die Kassen und damit auch die Solidargemeinschaft mit 600 Millionen Euro, rechnet der Nürnberger Gynäkologe Axel Feige, Autor eines Standardwerks zur Geburtshilfe, vor. Würde die Kaiserschnittrate von mehr als 30 auf 20 Prozent sinken, brächte dies Einsparungen von 100 Millionen Euro pro Jahr.

Feige gehört zu den Medizinern, die sich auch aus ganz anderen Gründen dafür aussprechen, bei jungen und gesunden Schwangeren einen Erst-Kaiserschnitt zu vermeiden. Er verweist zum einen auf die Risiken, die jede weitere Schwangerschaft für eine Frau bringt, die bereits einen Kaiserschnitt hinter sich hat (z. B. Gebärmutterriss, Fehllage der Plazenta); zum anderen gibt er zu bedenken, dass die steigende Schnittentbindungsrate die Zahl der kindlichen Erkrankungen und Sterbefälle in den ersten sieben Tagen nach der Geburt nicht reduzieren kann. So sei in Bayern zwischen 2005 und 2009 die Rate der fortgeschrittenen Azidosen (pH-Wert des Bluts kleiner als 7,1 – häufig ein Symptom für Sauerstoffmangel während der Geburt) konstant geblieben.

Zusätzliche Risiken für die Frau, keine Vorteile fürs Kind – kein Wunder, dass die Nürnberger Koryphäe viele Hebammen auf seiner Seite hat. Die Geburtshelferinnen kritisieren, dass die medizinischen Gründe für einen sogenannten Wunschkaiserschnitt oft vorgeschoben sind. Da werde von Ärzten argumentiert, das Baby sei zu groß, das Becken der Frau aber eher zu klein. „Wir beobachten, dass die Befürworter des ‚Kaiserschnitts auf Wunsch‘ die Unsicherheit der Frauen verstärken, indem sie von ‚unkalkulierbaren Risiken‘ einer normalen Geburt sprechen“, heißt es in einem Positionspapier des Bunds Deutscher Hebammen. Mit anderen Worten: Ärzte machen Frauen noch mehr Angst vor der Entbindung, als sie sowieso schon haben, und die Frauen entscheiden sich dann für die angeblich kalkulierbare OP-Geburt.

Auch wenn Mediziner dagegenhalten und neben möglichen schwerwiegenden Folgen der natürlichen Geburt wie Inkontinenz darauf verweisen, dass eines von 1000 Ungeborenen nach der 38. Schwangerschaftswoche stirbt und durch einen rechtzeitigen Kaiserschnitt zu retten wäre – das Unbehagen gegen den Trend zur Schnittentbindung wächst. In immer mehr Bundesländern gibt es Bündnisse gegen die OP-Geburt, seit diesem Frühjahr auch im Südwesten.

Bärbl Mielich, Gesundheitsexpertin der Grünen im Landtag und Vorsitzende des Sozialausschusses, hat die „Kampagne zur Stärkung der natürlichen Geburt“ (www.natuerliche-geburt-bw.de) mit initiiert. Frauenärzte und Hebammen, sonst nicht immer gut aufeinander zu sprechen, sind mit von der Partie, zudem Ärztekammer, Krankenhausverband und Techniker- Krankenkasse. „Wir wollen Ängsten, Legenden und Vorurteilen rund um die natürliche Geburt begegnen“, sagt Mielich.

Für Gesprächsstoff ist also gesorgt beim Forum Gesundheit in der Frauenklinik des Klinikums Stuttgart. Der Veranstaltungsort ist gut gewählt. Die Frauenklinik zählt mit 2615 Entbindungen (2013) zu Deutschlands größten Geburtskliniken – und liegt mit einer Kaiserschnittquote von 42,8 Prozent ebenfalls ganz weit vorn.