Foto: Mathematikum

Am 10. Dezember kommt Albrecht Beutelspacher, der Gründer des ersten Mathe-Mit-mach-Museums, anlässlich der Veranstaltungsreihe Forum Bildung unserer Zeitung nach Stuttgart.

Stuttgart - Mathematik macht lustig, steht auf dem Banner über dem Eingang des Mathematikums in Gießen. Über solche Sätze können viele Schüler nur lachen. Für manchen ist das Pflichtschulfach einfach eine Qual. Das liegt nicht unbedingt an der Mathematik, ist Albrecht Beutelspacher überzeugt. Um den Zauber von Zahlen, Figuren und Strukturen zu zeigen, hat der Mathematikprofessor vor zehn Jahren das weltweit erste Mitmachmuseum für Mathematik gegründet. Auf drei Stockwerken können Besucher Puzzles legen, Brücken bauen, mit Spiegeln und Seifenhäuten experimentieren oder Kugeln um die Wette rollen lassen. Dabei lässt sich vieles begreifen, was im Unterricht oft theoretisch daherkommt und einen Teil der Schüler zu der Frage verleitet, wozu man eigentlich Mathe brauche.

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Beutelspacher könnte darüber lange reden. Mathe hilft, die Welt zu entdecken und intensiver zu erleben, sie ist auch notwendig für technologische Spitzenleistungen. Zu den ersten Mustern, die Babys erkennen, gehören die Gesichter ihrer Eltern. Wenn kleine Kinder für jedes Familienmitglied Teller und Besteck hinlegen, beginnen sie zu systematisieren, beim Spielen im Freien entwickeln sie ein Gespür für Entfernungen.

Die ersten mathematischen Objekte zum Anfassen und Begreifen im Mathematikum wurden Mitte der 90er Jahre ausgedacht. Damals ließ der gebürtige Tübinger Beutelspacher seine Lehramtsstudenten geometrisches Modell bauen und die darin steckende Mathematik erklären. Nach zwei Wochen hatten sich die meisten mit der Aufgabe angefreundet und lieferten interessante Objekte, erzählt Beutelspacher. Damit die guten Ideen nicht in Schubladen verschwanden, lud er Schulklassen ein, nach Anfragen aus anderen Städten wurde eine Wanderausstellung produziert. Das weckte auch Interesse bei Stadt und Land. Gießen stellte ein Haus zur Verfügung, Hessen Geld für den Start. Dank Sponsoren, Projekten und rund 150.000 Besuchern jährlich trägt sich das Museum mittlerweile selbst.

Eltern sind nicht immer die Klügeren

Zur Eröffnung am 19. November 2002 kam auch der damalige Bundespräsident Johannes Rau. Das sei ein wichtiges Signal gewesen, sagt Beutelspacher. Denn in Deutschland fristet die Mathematik ein Schattendasein. Mit dem Satz „In Mathe war ich immer schlecht“ ernte man selbst unter Akademikern viel Verständnis, sagt der 62-Jährige. Mit mangelnden Englischkenntnissen würde sich keiner brüsten.

An einem Tisch versuchen Tino und Paul, zwei Holzblöcken zu einer Pyramide zusammenzufügen – bis sie den Trick herausgefunden haben, vergeht ein Weilchen. Nebenan dreht und wendet Sabrina vier Puzzleteile, die ein T ergeben sollen. „Das muss man richtig nachdenken“, sagt die Realschülerin, die mit ihrer Klasse zu Besuch ist. An einer anderen der rund 150 Experimentierstationen knacken Schüler den Code eines verschlüsselten Textes.

Vormittags sind vor allem Schüler im Mathematikum anzutreffen, manchmal reisen sogar Klassen aus dem Ausland an. Nachmittags kommen überwiegend Familien. Und nicht immer seien die Eltern die Klügeren. Das sei gut so, sagt Beutelspacher. Denn im Klassenzimmer sei das anders. Weil es in der Mathematik immer um die Unterscheidung zwischen richtig und falsch gehe, könne der Lehrer zum Herrn über richtig und falsch werden. Dann entstehe auf der einen Seite Macht und auf der anderen Seite Angst. Wenn sich Lehrer dessen nicht bewusst seien, entmutigten sie Schüler leicht.

Problematisch ist auch, wenn Lehrer ihre Schüler in Begabte und Unbegabte unterteilen oder Schüler von sich behaupten, ihnen fehle ein mathematisches Gen. „Das ist eine faule Ausrede“, meint Beutelspacher. „Die Begabungen sind breit verteilt wie in jedem Fach.“ Nur wenige Menschen seien nicht in der Lage, ein Zahlenverständnis zu entwickeln. Für die Lehrer bestehe die Kunst in erster Linie darin, die große Mehrheit in der Klasse voranzubringen, die Genies fänden ihren Weg weitgehend selbst. Bei gutem Unterricht erreichten die meisten Schüler ein ordentliches Niveau.

Dass in Deutschland Mädchen in Mathe im Durchschnitt deutlich schlechter abschneiden als Jungen, hält Beutelspacher nicht für naturgegeben. Die Pisastudie belegt, dass in vielen Staaten die Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen weit geringer sind als hierzulande, in einigen schneiden Mädchen sogar besser ab.

Da könnten Mütter eine Menge für ihre Töchter tun, sagt Brigitte Liebelt, Mathematiklehrerin und Leiterin der Jörg-Ratgeb-Schule in Stuttgart-Neugereut. Wenn sie ihnen einfach den Satz ersparten, dass sie selber Mathe auch nicht gemocht hätten.

Die Mädchen und Jungen im Obergeschoss des Mathematikums sind noch ganz unbefangen. Die Vier- bis Achtjährigen finden das Spielen mit Würfeln, Kugeln und Zahnrädern so lustig wie die erwachsenen Besucher die Karikaturen, die Künstler zum Zehn-Jahr-Jubiläum abgeliefert haben – eine bitter-süßer Blick auf Erfahrungen mit der Mathematik.

So melden Sie sich zum Forum Bildung an

Keine Angst vor Mathematik heißt es bei unserem nächsten Forum Bildung am Montag, 10. Dezember, 19 Uhr.

Albrecht Beutelspacher, Mathematikprofessor und Gründer des Mathematikums Gießen, und Brigitte Liebelt, Schulleiterin der Jörg-Ratgeb-Schule Stuttgart-Neugereut und Mathematiklehrerin, diskutieren über die Frage, wozu wir Mathematik brauchen – und wie viel.

Sie sagen und zeigen an Beispielen, was Eltern, Erzieher und Lehrer tun können, damit Kinder die Lust an Zahlen, Figuren und Strukturen entdecken und bewahren. Außerdem beantworten sie Fragen aus dem Publikum.

Die Veranstaltung wird von Bildungsredakteurin Maria Wetzel moderiert.

Veranstaltungsort ist das Eventcenter „SpardaWelt“, Am Hauptbahnhof 3, in Stuttgart, Einlass ab 18.30 Uhr.

Der Eintritt ist frei, eine Einlasskarte aber erforderlich. Diese erhalten Sie, wenn Sie sich hier anmelden.