Forum Bildung in der BMW-Niederlassung in Stuttgart-Vaihingen: Rund 150 Besucher hörten dem Gespräch auf dem Podium interessiert zu – und beteiligten sich zum Teil rege an der anschließenden Diskussion. Foto: Leif Piechowski

Viele Schüler wissen nicht, was sie mal werden sollen. Und viele Firmen nicht, wen sie einstellen sollen. Sagen Noten überhaupt etwas aus? Das sind einige der Fragen, die beim Forum Bildung unserer Zeitung zur Sprache kamen.

Stuttgart - Jungfrauen werden nicht zersägt. Dafür ist der mit einem Tuch verhängte Würfel auf dem Podium eindeutig zu klein. Aber an Zauberei erinnert das Teil schon irgendwie – wie überhaupt das ganze Thema viel mit Illusion(en) zu tun hat: „Der Weg zum Traumberuf“ ist die Diskussionsrunde überschrieben, zu der unsere Zeitung in die Stuttgarter BMW-Niederlassung eingeladen hat.

Vielen Jugendlichen muss es einfach wie Magie vorkommen, unter Tausenden Ausbildungs- und Studienangeboten fündig zu werden. 11 000 von ihnen sei das nicht gelungen, rechnet Maria Wetzel vor, die Moderatorin und bildungspolitische Redakteurin unserer Zeitung. Dabei sind 16 000 Plätze noch frei. Warum kommen beide nicht zusammen? Und was können Schulen und Firmen dazu tun?

Zaubern kann auf dem Podium niemand. Und so lüftet Andreas Schneider, Ausbildungsleiter beim Unternehmen Trumpf in Ditzingen, sogleich das Würfelgeheimnis: Es ist ein Blechkasten mit 30 Zentimeter Kantenlänge, den Lehrlinge im ersten Vierteljahr erhalten, um ihn mit einem beliebigen technischen Inhalt zu füllen. „Sie glauben gar nicht, zu welchen außergewöhnlichen Leistungen die fähig sind“, sagt Schneider und erläutert sein Motto: Motivation ist da, man darf sie nur nicht zerstören.

Ob die Motivation auch wirklich da ist, prüft man bei Trumpf dann aber schon etwas genauer. Wer einen der 66 Plätze ergattern will, und das wollten in diesem Sommer 2000 Bewerber, muss einen von Psychologen entwickelten Online-Test und ein Gespräch absolvieren. „Es geht uns um Werte“, sagt Schneider und nennt Neugier, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit oder emotionale Stabilität.

Schulnoten nennt er nicht. Vielmehr: Der Ausbildungschef des weltweit tätigen High-Tech-Konzerns verreißt auf offener Bühne das offizielle Bewertungssystem des deutschen Schulsystems. Ob in Deutsch eine 4 steht oder in Mathe eine 3, sei doch nebensächlich. Wer nach Noten selektiere, lege auch Perlen beiseite. Punktum. Große Unternehmen wie Daimler oder die Deutsche Bahn gingen über zu eigenen, besseren Auswahlverfahren. Und später setzt er noch eins drauf und sagt: „Ich kann den Schulen das Notengeben nicht verbieten, aber ich brauche sie nicht.“

Für Entschlackung des Lehrplans plädiert

Auf Barbara Graf, die Direktorin des Hegel-Gymnasiums und geschäftsführende Schulleiterin der Stuttgarter Gymnasien, muss das wirken wie eine „5“ unter dem Deutschaufsatz. Doch sie sieht die Schulen zu Unrecht kritisiert. „Auch wir gehen auf diesem Weg“, hält sie dagegen und skizziert, wie Jugendliche selbstständiges Arbeiten erlernen und Kompetenzen erwerben. Indem sie im Rahmen des Wirtschaftsunterrichts zum Beispiel eine Firma gründen. Graf: „Das darf auch mal schiefgehen.“

Für so überflüssig wie Schneider hält die studierte Germanistin und Politikwissenschaftlerin die Noten im Übrigen nicht. Solche Nachweise seien auch für den Wissenschaftsstandort Deutschland nötig, denn man könne daran die Leistungsträger ablesen. Und zusätzlich zu den Noten gebe es ja bereits „personalisierte Rückmeldungen“. Im Unterricht gehe es um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Stoff, argumentiert die Pädagogin – Resultate seien dann sehr wohl abfragbar.

Aber muss die Generation der Schüler des achtjährigen Gymnasiums nicht Wissen in sich hineinfressen?, hakt die Moderatorin nach. Ein Vorbehalt, der später in der Publikumsrunde immer wieder laut wird. So plädiert etwa ein Vater für eine Entschlackung des Lehrplans: „Weniger wäre mehr!“ Graf hingegen verteidigt das Turboabitur. Man könne vielleicht keine fünfte Sportart erlernen, aber der Stoff sei für junge Menschen sehr wohl zu schultern. Und Schüler müssten auch bereit sein, sich durchzubeißen.

„Bulimie-Lernen“ nennt hingegen Schneider diese Methode. Wie beim Nürnberger Trichter: Oben hinein, unten heraus. Der „Wirkungsgrad“ der Schule sei stark verbesserungswürdig, befindet der gelernte Maschinenschlosser, der später Pädagogik studiert hat, und urteilt: „Ich habe viele Menschen kennengelernt, die nicht an sich, sondern an der Schule gescheitert sind.“ Und wieder ist er bei den Noten: Die sagten doch nichts über die Persönlichkeit eines Schülers aus. Schon gar nicht in der schwierigen Phase der Pubertät.

Doch er geht nicht nur mit den Schulen, sondern auch mit den Unternehmen hart ins Gericht. Junge Menschen hätten auch deshalb Probleme bei der Berufswahl, weil die beiden Welten noch immer getrennt voneinander existierten. Schulen und Firmen müssten viel enger kooperieren, nur so werde man auch den Fachkräftemangel in den Griff bekommen. Schneider: „Die Unternehmen müssen aufhören zu jammern, sie müssen endlich was tun.“ Das Publikum quittiert das mit lebhaftem Beifall.

„Was der Papa macht, will ich nicht“

Bei Graf rennt er da offene Türen ein. „Viele Unternehmen zieren sich“, klagt sie. Es sei unglaublich schwer, Partner zu finden. Und zwar solche für nachhaltige Beziehungen. Nicht um Schülern ein lockeres Besichtigungs-Hopping zu bieten. Zwar beteiligten sich schon jetzt viele Schulen an Kooperationsprogrammen – vorneweg das Hegel-Gymnasium. Graf nennt auch das bundesweite Start Klar! oder das Berufsfindungstraining BEST. Doch zufrieden ist sie nicht. Berufsfindung laufe noch zu sehr nach dem Muster der Negativauswahl: „Was der Papa macht, will ich nicht.“

Und wie erreicht man, dass traditionelle Rollenbilder bei der Entscheidung verblassen? Dass auch junge Frauen technische und naturwissenschaftliche Berufe ergreifen? Hier stößt selbst Trumpf an seine Grenzen. Die Kooperation mit dem Stuttgarter Mädchengymnasium St. Agnes führe jedenfalls nicht zu deutlich mehr Bewerbungen, sagt Schneider und schüttelt den Kopf: „Das ist wie ein Naturgesetz.“

Warum wirkt der Zauber hier nicht? Während die Frage im Raum steht, kommt ein Firmenvertreter zu Wort, der sich wie Trumpf die Bewerber aussuchen kann: Erwin Mayer, der Chef der BMW-Niederlassung Stuttgart. Die Attraktivität kommt seiner Ansicht nach nicht von ungefähr. Das Unternehmen biete vielmehr ein Ausbildungsprogramm, das den Jugendlichen früh Verantwortung überträgt, aber auch Leistungsanreize. „Abgebrochen hat noch niemand“, sagt Ausbildungsleiterin Gessica Muratore.

So schlecht stehe es um das Informationsangebot für junge Menschen nun auch nicht, befindet Susanne Kühn, Beraterin der Arbeitsagentur in Stuttgart. Im Gegenteil. „Es passiert heute so viel wie noch nie.“

Doch trotz aller Veranstaltungen und Broschüren mangele es vielen Jugendlichen an der Fähigkeit, die Vielfalt des Angebots mit ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen in Deckung zu bringen, berichtete Kühn aus ihrem Beratungsalltag. Man müsse diese Entscheidungskompetenz fördern.

„Fragen Sie sich: Was will ich?“, gibt Schneider einer Schülerin mit auf den Weg, die sich nach der Dualen Hochschule erkundigt. Jeder müsse eben seinen eigenen Weg finden. Dem deutschen Schulsystem erteilt er zum Abschluss aber noch einmal die Note „ungenügend“. „Wir brauchen neue Lehrer, da kommt bei mir nichts an.“ Aber auch eine neue Didaktik sei nötig: eine, in der nicht der Lehrer wichtig sei, sondern der Schüler.

Und was ist nun in dem Zauberwürfel drin? Das Team, dessen Arbeit Schneider mitgebracht hat, baute eine Art Wunderherd hinein: Der Würfel ist ein Grill samtFritteuse. Niemand der rund 150 Gäste hat so etwas je gesehen. Der Trick, sich selbst zu motivieren, scheint also tatsächlich zufunktionieren.