George Russell, als Ersatzmann für den erkrankten Lewis Hamilton in Bahrain im Mercedes unterwegs, hat die Führung des Formel-1-Rennstalles um Toto Wolff überzeugt. Foto: imago/Antonin Vincent

Nach der starken Vorstellung in Bahrain meldet George Russell Ansprüche auf ein Silberpfeil-Cockpit an. Derweil beklagen Formel-1-Piloten, dass vor allem das Auto und weniger der Fahrer über Sieg und Niederlage entscheidet.

Stuttgart - Niki Lauda war nie um deutliche Worte verlegen. „Jeder Affe kann, was die Bedienung des Autos betrifft, Formel 1 fahren“, polterte 2001 der damalige Jaguar-Sportchef. Der dreimalige Champion lästerte über elektronische Fahrhilfen, die dem Motorsport das Ursprüngliche nähmen, die dazu führten, dass fast jeder Durchschnittsprimat ein Rennauto schnell und sicher über einen Rundkurs steuern könne. Nun ist Niki Lauda im Mai 2019 gestorben, auf seine Meinung über den Großen Preis von Sakhir 2020 muss die Formel-1-Gemeinde leider verzichten. Da hatte George Russell, der Ersatzmann für den erkrankten Lewis Hamilton, den Grand Prix lange angeführt – und hätte die Mercedes-Crew an der Box nicht gepatzt, relativ sicher das Wüstenrennen gewonnen. So wurde er Neunter, es siegte Sergio Perez (Mexiko) vor Esteban Ocon (Frankreich).

Ein Grand-Prix-Gewinner im Mercedes ist seit Jahren Normalität, jedoch runzelten einige die Stirn, weil Russell bislang im technisch unterlegenen Williams nie über Platz elf hinausgekommen war, im Silberpfeil war aus ihm über Nacht ein Siegaspirant geworden. „Willst du die Meisterschaft gewinnen, musst du in einem Mercedes sitzen“, stellte McLaren-Fahrer Lando Norris vor dem Grand Prix fest, „ich denke, viele Fahrer könnten Ähnliches erreichen und Valtteri Bottas oder gar Lewis Hamilton den Kampf ansagen.“ Carlos Sainz, der zweite Pilot bei McLaren, hatte schon nach dem Qualifying am Samstag missmutig geätzt. „Wenn einer, der sonst um Platz 15 kämpft, in ein Siegerauto gesteckt wird und nur 20 Tausendstel von der Pole weg ist, zeigt das, was der Formel 1 fehlt“, unkte der Spanier, „wir könnten eine tolle Show haben, wenn der Fahrer einen größeren Unterschied machen kann.“

Aufs Auto und das Team kommt es an

Die Formel 1 ist technikorientiert, Ingenieure und Rennstrategen sind die maßgeblichen Faktoren, die Erfolge ermöglichen. Es mag hypothetisch sein: Die Wahrscheinlichkeit, dass Sebastian Vettel im Mercedes Weltmeister geworden wäre, dürfte weit größer sein als die, dass Lewis Hamilton dieses Kunststück im Ferrari gelungen wäre. „Aktuell kommt es stark aufs Team und das Auto an“, sagte Sainz, „wir haben so viel Talent im Feld, dass alle Fahrer innerhalb von drei Zehntelsekunden pro Runde liegen könnten.“ Die Krux: Die wohlhabenden Rennställe wie Mercedes, Red Bull und Ferrari können mehr Millionen investieren und erarbeiten sich so den Vorsprung durch Technik, was die Formel 1 zu einer Zweiklassengesellschaft macht. Die Funktionäre um Jean Todt, dem Chef der Regelbehörde Fia, sowie die Bosse der Rennställe haben diesen Systemmangel erkannt und wollen ihn beheben. Die Einführung des Budget-Deckels im nächsten Jahr soll dem entgegenwirken, maximal 130 Millionen Euro dürfen die Teams dann ausgeben. 2022 soll ein neues technisches Reglement allen einen Neustart auf ähnlichem Niveau ermöglichen.

Überlegener Silberpfeil hin oder her – für George Russell war das Rennen die Reifeprüfung. Oder besser: die praktische Fahrprüfung. Dem 22-Jährigen, der seit 2017 von Mercedes gefördert wird und beim Kundenteam Williams geparkt ist, war klar, was die Bosse erwarteten. Teamchef Toto Wolff wollte sehen, wie viel Potenzial der Brite aus dem Auto kitzelt. Ob er zum Erben von Superstar Lewis Hamilton taugt. „In die top Fünf“ hatte Wolff vor dem Rennen verlangt, „wir wollten die Erwartungen nicht zu hoch anlegen, aber er hat sie stets übertroffen.“

Valtteri Bottas sieht in Bahrain schlecht aus

Russell war im Training besser als erwartet, im Qualifying und im Rennen. „Sein Racing war unglaublich. Er hatte beim Start die beste Reaktionszeit, obwohl das Auto nicht für ihn gebaut wurde und zu klein ist. Das Lenkrad passte nicht zu seinen Händen, trotzdem hat er sich die Führung geholt und ist ein brillantes Rennen gefahren“, so Wolff, „wir können in Zukunft auf ihn zählen.“

Nun hat Mercedes ein Luxusproblem, weil Russell auch Teamkollege Valtteri Bottas im Rennen gekonnt überholt hatte. Der Finne, stets in Hamiltons Schatten, sah nun gegen das Talent schlecht aus. „Wenn man die Details nicht kennt“, sagte Bottas, „sehe ich wie ein ziemlicher Idiot aus. Das zu sagen, ist jetzt einfach für die Leute.“ Will sich Mercedes ein weiteres Jahr mit Bottas erlauben, trotz der seit Wochen mäßigen Leistungen? Oder soll Russell den Finnen sofort ersetzen, trotz dessen Vertrags bis Ende 2021? Teamchef Wolff gibt den Diplomaten: „Das Team besteht aus Lewis und Valtteri.“ Ein Duo Hamilton/Russell für 2021 sehe er „im Moment nicht als realistisches Szenario.“ Ins Grübeln dürfte der Österreicher dennoch kommen. „Ich hoffe, ich habe Toto Kopfschmerzen bereitet“, sagte Russell frech, „und zwar nicht erst mit Blick auf 2022.“ Vielleicht denkt Wolff an seinen einstigen Weggefährten im Team, an Berater Niki Lauda, und fragt sich: Wie würde der Niki wohl entscheiden?