Jakob Johnson (re.) vor einer Trainingseinheit im Fitnessraum der Tennessee Volunteers. Foto: Screenshot Youtube

Bei den Stuttgart Scorpions hat Jakob Johnson das Football-Spielen erlernt, nach dem Abitur machte er sich in die USA auf, um Profi zu werden. Nun hat es der 24-Jährige in die Mannschaft von Superbowl-Sieger New England Patriots geschafft und trainiert mit Star-Quarterback Tom Brady.

Stuttgart/Jacksonville - Mit Star-Quarterback Tom Brady in der Umkleide von Superbowl-Sieger New England Patriots, mit dem legendären Trainer Bill Belichick in einer Teambesprechung – hört sich an, als habe man eines dieser Preisausschreiben gewonnen, bei dem der erste Preis darin besteht, einen Tag lang das Innenleben einer Sportmannschaft hautnah mitzuerleben. Jakob Johnson kennt dieses Szenario, aber nicht nur von einem Tag, sondern er ist immer wieder mittendrin. Denn Jakob Johnson hat nichts gewonnen – auch wenn es sich irgendwie so anfühlt. Der Football-Spieler, der bei den Stuttgart Scorpions vor elf Jahren seine ersten sportlichen Schritte getan hat, hat sich erfolgreich durch das International Pathway Programm der National Football League (NFL) gequält – sein Lohn: Der gebürtige Stuttgarter zählt zur sogenannten Practice Squad der New England Patriots, zur Trainingsmannschaft des sechsmaligen Football-Champions.

Dass es dazu kam, hat den 24-Jährigen ziemlich überrascht. Johnson war 2013 nach dem Abitur an der Max-Eyth-Schule am Rotebühlplatz gen Nordamerika nach Jacksonville aufgebrochen, um Football-Profi zu werden. Er lebte bei seiner Tante und spielte erst im Team der Jean Ribault High School, mit einem Stipendium machte er sich zur renommierten University of Tennessee auf und agierte vier Jahre in einer College-Liga für die Tennessee Volunteers – auf den Positionen Tight End (Offensive) und Linebacker (Defensive) muss er einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Im November 2017 hielt der Footballer die erste Einladung zum International Pathway Programm (IPP) in seinen Händen, doch er verletzte sich. Der Sohn einer Deutschen und eines US-Amerikaners konnte die große Chance nicht nutzen, es war ein schwerer Treffer mitten ins Herz. Er verpasste den Pro Day, wo die Scouts der NFL-Teams an die Universitäten kommen und die Kandidaten einen Tag lang mit Argusaugen beobachten. 2018 kehrte Johnson ernüchtert nach Stuttgart zurück und verstärkte, nachdem die Verletzung auskuriert war, seinen Heimatclub Scorpions in der German Football League.

Jakob Johnson nutzt erst die zweite Chance

Den nächsten Anlauf startete er mit nun 23 Jahren im Herbst 2018. In England trainierte er, um sich für das Programm zu empfehlen – sollte er eine Zusage erhalten, so sagten ihm die Coaches, werde die bis Ende November bei ihm eingehen. „Nach meinem Geburtstag am 15. Dezember hatte ich noch keine Nachricht bekommen“, erzählt Jakob Johnson, „daher hatte ich nicht mehr mit einer Zusage gerechnet – dann lag jedoch eine offizielle Einladung im Briefkasten.“ Nach dem Rückschlag ein Jahr zuvor war dieses Schreiben ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. „Für mich ist das eine zweite Chance“, sagt er, „meinen Traum von der NFL zu verwirklichen.“ Zwölf Wochen schuftete der Football-Export aus Stuttgart in der Academy in Florida, wo die Lebenswirklichkeit eines NFL-Profis nachgestellt wurde. Drei Monate knallharter Drill, schweißtreibendes Training, fordernde Meetings, anspruchsvolle Filmsessions. Ein Vierteljahr Überstunden, Pauken von Spielzügen, wenig Schlaf – und immer dieser Druck, die Coaches überzeugen zu müssen. Am Pro Day, an dem Tag, an dem die NFL-Abgesandten erschienen, ging es für Jakob Johnson um nichts weniger als sein Leben. Gefühlt zumindest. An diesem Tag entscheiden sich Karrieren und platzen Träume – nur vier Talenten steht ein Platz in einem Practice Squad eines NFL-Teams zu Verfügung. Hero oder Zero. Held oder Versager. Sicherheitshalber legte sich Johnson einen Plan B zurecht; er überlegte, ob er, sollten die Scouts den Daumen senken, zu den Scorpions zurückkehrt oder in einer unterklassigen Liga in den USA anheuert. Diese Gedanken hätte er sich ersparen können. Die New England Patriots wollten ihn haben.

Verdienst in der Practice Squad: 108.000 Euro

„Ich glaube, ihnen hat meine Arbeitseinstellung gefallen“, sagt der 1,94-Meter Mann, „viele Jungs aus den USA halten sich für Superstars, wenn sie es bis hierhin gebracht haben – Spieler aus Deutschland sind froh, dabei zu sein und bereit, hart zu arbeiten.“ Einen Pluspunkt durfte der 24-Jährige zudem für sich verzeichnen: Die meiste Zeit seiner Karriere spielte er als Linebacker und Tight End, zuletzt wurde er als Fullback gelistet. „Diese Flexibilität macht mich attraktiver für die Teams“, vermutet der Auswanderer, der sich nun bei den Pats beweisen kann. Er wird versuchen, den Sprung in den 53-Mann-Kader zu schaffen. Gelingt das nicht, bleibt er eine Saison im Trainingsteam – er darf zwar nicht in den Kader berufen werden, aber er ist unkündbar. Und die Vergütung unterscheidet sich natürlich von der eines Praktikanten, nach NFL-Regularien erhält der Nachwuchsmann 122.400 Dollar (108.000 Euro). Diesen Weg hat auch der Aalener Moritz Böhringer beschritten. Vor zwei Jahren stand der Footballer von den Schwäbisch Hall Unicorns als Wide Receiver in der Practice Squad der Minnesota Vikings, doch er scheiterte. Nun steht der 25-Jährige nach der Umschulung zum Tight End in der Trainingsmannschaft der Cincinnati Bengals. Jakob Johnson und Moritz Böhringer haben sich zu Jahresbeginn kennengelernt und gemeinsam trainiert – und ganz egal, wo der Weg des Stuttgarters auch hinführt: Seine Geburtsstadt hat er stets bei sich – auf seinen rechten Oberarm hat er sich 0711 tätowieren lassen.