Lebensmittel für den Müll? Das muss nicht sein. Foto: dpa

Die neue Filder-Foodsharing-Gruppe in Facebook wächst schnell. Unterdessen musste der Fairteiler in Stuttgart-Vaihingen dicht machen. In Stuttgart-Sillenbuch entsteht derzeit ein neuer – und jener in Stuttgart-Degerloch kämpft gegen Verschmutzung.

Filder - Wer an diesem Tag Kuchen backen oder Semmelknödel herstellen möchte, ist gut bedient im Fairteiler in Degerloch: In dem Schuppen an der Löwenstraße 54 liegen in mehreren Boxen Brötchen, die entweder nicht mehr knusprig oder schon etwas zu knusprig sind. Außerdem gibt es im Kühlschrank einen fertigen Kuchenboden, Sellerie, etwas Salat sowie belegte Brötchen. Jeder darf sich etwas mitnehmen, ohne etwas dafür zu geben – vom Bedürftigen bis zum gut betuchten Degerlocher, sagt Philipp Backhaus. Er ist der Verantwortliche des Fairteilers in Degerloch: „Spenden sind beim Foodsharing unerwünscht. Sobald Geld fließt, gelten auch strengere Regelungen bezüglich der Hygiene, der Kühlkette und des Mindesthaltbarkeitsdatums – und das könnte man gar nicht umsetzen.“

Vor knapp drei Jahren hat sich der 33-Jährige, der in einer Wohngemeinschaft (WG) an der Löwenstraße 54 wohnt, bei der Initiative Foodsharing angemeldet. Dort treffen Menschen aufeinander, die etwas gegen die allgegenwärtige Lebensmittelverschwendung tun wollen. Bei seinem Experiment zogen nicht nur seine damaligen Mitbewohner, sondern auch die Nachbarn mit. Ein Mann aus dem Nachbarhaus spendete einen kleinen Kühlschrank. Außerdem wurden mehrere Regale aufgestellt und Hinweise in den Schuppen gehängt.

Degerloch gehört zu den Vorzeigeprojekten

Seit November 2015 werden an der Löwenstraße Lebensmittel abgegeben, die Privatpersonen nicht mehr brauchen oder Betriebe nicht mehr verkaufen können. „Das meiste kommt von Supermärkten und Bäckereien“, sagt Philipp Backhaus. Sogenannte Foodsaver mit einem speziellen Ausweis können Übriggebliebenes von registrierten Betrieben abholen – und dann entweder selbst konsumieren, an Bekannte oder Bedürftige weitergeben oder eben im Fairteiler deponieren.

David Jans arbeitet seit fünf Jahren in Vollzeit ehrenamtlich für die Initiative Foodsharing. Durch seine Arbeit kennt David Jans die verschiedenen lokalen Initiativen. Er sagt: „Der Fairteiler in Degerloch ist einer unserer ältesten und frequentiertesten. Der Schuppen ist superschön, groß und hat sogar einen Kühlschrank – er gehört zu unseren Vorzeigeexemplaren.“

Manchmal sieht es schlimm aus in dem Schuppen

In der Praxis läuft es nicht immer so glatt, weiß Philipp Backhaus. „Manchmal sieht es schlimm aus in dem Schuppen. Einige verlassen den Raum ziemlich versaut.“ Letztlich komme es immer darauf an, wie fleißig die Engagierten seien. Manche würden regelmäßig neue Putzsachen mitbringen, durch den Kühlschrank wischen und nicht mehr brauchbare Lebensmittel entsorgen. „Es gibt aber auch Leute, bei denen man sich wirklich fragt, ob die bescheuert oder hochgradig asozial sind“, sagt Backhaus. Immer wieder würden Besucher mehr als nur Lebensmittel aus dem Schuppen mitnehmen, also etwa Stromkabel oder Gemüseboxen.

Das führte dazu, dass mittlerweile an mehreren Gegenständen Schilder hängen, auf denen steht, dass man diese da lassen soll. Auch wenn Philipp Backhaus den Eindruck hat, dass die Arbeit im Fairteiler in den vergangenen drei Jahren ein wenig schwieriger geworden ist, ist er nach wie vor überzeugt von dem Konzept: „Beim Foodsharing konsumieren die Menschen nicht nur blind, sondern übernehmen Verantwortung. Aber manchmal ist eben auch viel Idealismus nötig.“

Der Fairteiler in Vaihingen musste dicht machen

Das haben auch die Vaihinger Studenten gemerkt: Dort gab es bis vor Kurzem einen Fairteiler am ökumenischen Zentrum neben der Uni. Im Juli wurde dieser jedoch abgebaut – zum einen weil es in den Holzschuppen regelmäßig hineingeregnet hatte, zum anderen weil sich niemand mehr gekümmert hat. „Durch die relativ kurzen Studiengänge ist es schwer geworden, kontinuierlich engagierte Studenten zu finden“, sagt der katholische Hochschulseelsorger Thomas Richter-Alender. „Das ist schade. Vor zwei Jahren hat das noch richtig gut geklappt. Samstagmorgens wurden kistenweise Brötchen und Brote zum Fairteiler gebracht. Die Studenten standen Schlange, um das Zeug mitzunehmen. Aber diejenigen, die sich damals engagiert haben, sind nicht mehr an der Uni – und es haben sich keine Freiwilligen mehr gefunden.“

Unterdessen ist Annette Jickeli aus Riedenberg noch voller Idealismus. Sie koordiniert als sogenannte Botschafterin das Foodsharing in Sillenbuch. Dort gibt es mittlerweile rund 30 Freiwillige, die regelmäßig Lebensmittel von Supermärkten abholen. Zudem haben sich in einer privaten Whatsapp-Gruppe um die 50 Personen organisiert, die lieber teilen, als wegzuschmeißen. „Ich habe den Eindruck, es entsteht da wirklich was“, sagt Jickeli.

Facebook-Gruppe wächst enorm schnell

Entstehen wird dieser Tage der erste Sillenbucher Fairteiler, wo Lebensmittel öffentlich zugänglich abgelegt und mitgenommen werden können. Im Äckerwaldzentrum am Gosheimer Weg hat die evangelische Kirchengemeinde einen Stellplatz für eine Hütte zur Verfügung gestellt. Vom Bezirksbeirat gab es zudem 1000 Euro für das Projekt. „Wir sind noch auf der Suche nach Kühlschränken und Regalen“, sagt sie. Auch ein Elektroanschluss muss noch verlegt werden, ebenso muss die Lebensmittelüberwachung grünes Licht geben.

Keinen Fairteiler, aber dafür eine enorm schnell wachsende Facebook-Gruppe hat Stefanie Kurfess Mitte Juli mitgegründet: die Filder-Foodsharing-Gruppe. Dort teilen die Mitglieder aus Leinfelden-Echterdingen, Filderstadt und Umgebung Obst, Gemüse, Müslipackungen oder auch ganze Torten untereinander. Bisher sind das nur Lebensmittel aus Privathaushalten, einen Fairteiler mit aussortierten Lebensmitteln von Betrieben gibt es nicht.

Über mangelndes Interesse kann Stefanie Kurfess nicht klagen: „Die Gruppe ist rasant gewachsen, ich kam gar nicht mehr hinterher, neue Mitglieder freizuschalten.“ Bisher würden zwar nicht so viele Lebensmittel getauscht, Kurfess kann sich vorstellen, dass es mehr wird. Sie hat schon Lebensmittel abgegeben und neue bekommen. „Ich könnte mir vorstellen, dass durch die Gruppe sogar Freundschaften entstehen.“ Sobald die erste Hochzeit in der Foodsharing-Gruppe anstehe, werde sie Bescheid geben, scherzt sie.