„Das ist ein stiller Protest“ – Tätowiererin Sandra Daumüller aus Stuttgart will mit Nacktheit auf die Folgen des Lockdowns aufmerksam machen. Foto: Sandra Daumüller/Screenshot Instagram/@artandsymbols_tatto

Tätowierer im ganzen Land lassen die Hüllen fallen – um auf die Folgen des Corona-Lockdowns aufmerksam zu machen. Doch das Verwaltungsgericht lehnt eine Öffnung ab. Auch Studioinhaberin Sandra Daumüller aus Stuttgart will mit nackter Haut ein Zeichen setzen. Was ist ihre Botschaft?

Stuttgart - Die Faszination für Tattoos packte Sandra Daumüller schon in ihrer Jugend. Heute geht es der Inhaberin des Tattoo-Studios Art & Symbols im Stuttgarter Süden mehr um die Kunst und Ästhetik, damals war es das Anderssein, die unmissverständlichen Botschaften, die solche Bilder auf der Haut setzen können. „Es gehörte Mut dazu. Heute bin ich aus dem Alter der ständigen Rebellion rausgewachsen“, schildert die 43-Jährige, die seit mehr als zehn Jahren in diesem Geschäft ist.

Doch in der Corona-Krise wird die Künstlerin wieder zur Rebellin – wieder ist Mut gefragt, und wieder sollen die Tattoos auf ihrer Haut eine klare Botschaft setzen. Mit dem Hashtag #ihrmachtunsnackt kreiden Gewerbetreibende und Selbstständige im ganzen Land im Netz fehlende oder unvollständig überwiesene Beiträge aus dem November und Dezember an. Auch Daumüller protestiert nackt gegen die stockenden Auszahlungen der Corona-Hilfen. In einem auf Instagram veröffentlichten Beitrag trägt die gelernte Modedesignerin nichts als einen Hut – sie will mit nackter Haut ein Zeichen setzen. Die Unternehmerin macht deutlich: Für die Maßnahmen gegen das Coronavirus hat sie Verständnis, aber dann müsste die rechtzeitige Unterstützung für die Betroffenen gewährleistet sein – und eine klare Öffnungsperspektive her.

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Gericht lehnt Klagen gegen die Schließung von Fitness- und Tattoostudios ab

Friseursalons dürfen in Baden-Württemberg wie in ganz Deutschland am 1. März wieder öffnen – Tattoostudios bleiben dagegen vorerst weiter geschlossen. Die baden-württembergische Landesregierung führt als Grund die Bedeutung des Haareschneidens für die Körperhygiene an. Wann auch andere Gewerbetreibende wie Tattoostudios, Kosmetiker oder Maniküristen öffnen dürfen, ist derzeit noch ungewiss: Der Beschluss von Bund und Ländern macht zumindest Hoffnung, dass die derzeit geltenden Maßnahmen ab einer stabilen Sieben-Tages-Inzidenz von unter 35 gelockert werden könnten.

Erst am Montag hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim Klagen gegen die Schließung von Fitness- und Tattoostudios abgelehnt. Jeweils ein Betreiber solcher Einrichtungen hatte beim VGH Klage gegen die Untersagung seines Betriebs eingelegt. Mit Beschlüssen vom Freitag seien die Eilanträge abgelehnt worden, teilte ein Sprecher des Gerichts am Montag mit. Das bedeutet auch, das Geschäft von Sandra Daumüller bleibt vorerst geschlossen – wie lange ihr Laden noch dicht bleiben muss, ist völlig ungewiss.

„Mitgemacht bei der Protest-Aktion habe ich hauptsächlich aus Solidarität“, sagt die Stuttgarter Tätowiererin. Sie selbst habe die Hilfen für November und Dezember zwar bis Februar erhalten. Doch sie höre von vielen Selbstständigen und Gewerbetreibenden, die noch keinen Cent Corona-Hilfen bekommen haben. Daumüller berichtet von schleppenden Verfahren, von Selbstständigen, denen das Geld ausgeht und deren Kosten viel höher sind und durch die Hilfsgelder nicht gedeckt werden. „Ich glaube, den Politikern ist gar nicht klar, wie schleppend die Zahlungen vorangehen“, sagt sie.

In vielen Fällen kommt die Hilfe nicht schnell genug

„Wir sind uns bewusst, dass der zweite Lockdown vor allem auch der Dienstleistungsbranche im Land viel abverlangt“, sagt Lena Mielke, Sprecherin des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums, angesprochen auf die Protestaktion der Tätowierer. „Insbesondere auch mit Blick auf den Impffortschritt, die zur Verfügung stehenden Hygienekonzepte und die immer besseren Testmöglichkeiten brauchen alle Branchen nun dringend eine klare Perspektive.“

Die Hilfen aus Bundesmitteln richten sich an Unternehmen, Selbstständige und Vereine. Bei den Dezemberhilfen können Betriebe Zuschüsse von bis zu 75 Prozent des Umsatzes aus dem Dezember 2019 erhalten. Die Bundesländer sind für Antragsbearbeitung, Prüfung und Auszahlung zuständig. Seit Beginn der Krise hat der Bund laut Wirtschaftsministerium rund 80 Milliarden Euro an Hilfen bewilligt.

Doch in vielen Fällen kommt die Hilfe nicht schnell genug. Genau deswegen hat der Bayreuther Tätowierer Dawid Hilgers-Lehner den Nackt-Protest ins Leben gerufen. Er berichtet von Bekannten, die keine Hilfen oder nur einen Abschlag bekommen haben – einige seien bereits pleite, sagte er. Den Bundesverband Tattoo freut, dass „eine ohnehin bunte Branche einen kreativen, friedlichen und originellen Weg gefunden hat, den eigenen, tiefgehenden Sorgen Ausdruck zu verleihen“, sagte der Vorsitzende Urban Slamal.

Stuttgarter Tätowiererin fordert die Politik zum Handeln auf

„Ich habe das Glück noch Erspartes zu haben, daher konnte ich die Zeit überbrücken und meine Mieten bezahlen,“ schildert Daumüller. Sätze wie „Ihr bekommt doch alle Geld fürs Nichtstun, was regt ihr euch auf“ sind für sie in dieser Zeit wie Salz auf der Wunde. Die in Filderstadt aufgewachsene Unternehmerin ärgert sich, dass die Sorgen ihrer Branche kaum Beachtung finden. Vor allem die erneute Schließung nach dem ersten Lockdown stößt auf Unverständnis. „Wir haben uns nach der Öffnung an die Sicherheitsmaßnahmen gehalten, wobei wir als Tattoostudio ohnehin hohe Hygienestandards haben.“ Tausende von Euro hätten Kollegen teils in Umbauten und Luftreiniger investiert, um ihr Geschäft gegen das Coronavirus zu wappnen. „All das wurde nicht gewürdigt“, gibt sich die Firmenchefin enttäuscht. Schließlich hätten die Politiker und Virologen Monate lang Zeit gehabt, um sich ein Konzept zu überlegen.

Aber Aufgeben ist für Daumüller keine Option, die Unternehmerin geht in die Offensive: „Bitte lasst uns doch nicht im Regen stehen. Es wurde uns ein rasches und unkompliziertes Auszahlungsverfahren zugesagt“, richtet sie eine Forderung an die politischen Entscheidungsträger. Sie erwarte nun ein klares Öffnungskonzept mit angemessenen Richtlinien, „denn wir wollen uns wieder selbst um uns kümmern“. Geringverdiener, die auf Kurzarbeitergeld angewiesen sind, sollen eine Aufstockung vom Staat bekommen, noch ausstehende Gelder sofort ausbezahlt werden. „Es muss für jeden geschlossenen Monat gewährleistet sein, dass wir die Fixkosten unserer Betriebe und unseren Lebensunterhalt finanzieren können. So können wir zumindest überleben.“