Julia Hirschmüller vom Gesundheitsladen an der Lindenspürstraße Foto: Mädchengesundheitsladen

Der Gesundheitsladen an der Stuttgarter Lindenspürstraße verzeichnet mehr Einzelberatungen. Mädchen und Jungen reagieren unterschiedlich auf die Corona-bedingten Einschränkungen.

Stuttgart - Die Bedürfnisse von Jugendlichen seien in der Corona-Pandemie zu wenig im Blick gewesen. Soziale Kontakte seien für sie besonders wichtig. Über Online-Beratung sei die eigene Klientel überraschend schlecht zu erreichen. Diese Bilanz hat der Stuttgarter Gesundheitsladen zu den Erfahrungen der vergangenen Monate gezogen. Die Anfragen nach Einzelberatung seien im Zuge der Lockerungen gegenüber dem Vorjahr gestiegen, berichtet die stellvertretende Geschäftsführerin, Julia Hirschmüller, die selbst Beraterin ist im Mädchengesundheitsladen und bei Abas, der Anlaufstelle für Essstörungen. „Jungen im Blick“ ist die dritte Anlaufstelle unter dem Dach des Gesundheitsladens an der Lindenspürstraße.

Der aktuelle Beratungsbedarf sei groß, sagt Hirschmüller. Ängste, depressive Verstimmungen, aber auch Schwierigkeiten, sich wieder auf die Schule einzulassen, seien typische Themen. Zu Beginn der Pandemie sei es für sie hingegen schwer gewesen, in Kontakt zu kommen. „Die Online-Beratung wurde wenig in Anspruch genommen“, sagt Hirschmüller. Offenbar sei die Sorge zu groß gewesen, dass die Zimmertür aufgehen könnte und Mutter oder Vater reinkommen. „Es ist wichtig, dass Jugendliche weiterhin Anlaufpunkte haben“, heißt es deshalb beim Gesundheitsladen. Dass in der Krise ausgerechnet die Ansprechpartner in der Schule fehlten, wertet Hirschmüller als Problem. Beim Thema sexualisierte Gewalt zum Beispiel melde man sich nicht von zu Hause aus mit dem Hilferuf.

Patienten mit Essattacken sollten eigentlich Vorratshaltung vermeiden

Mädchen und Jungen hätten ihrer Erfahrung nach unterschiedlich auf die Corona-Beschränkungen der ersten Monate reagiert. „Die Mädchen haben zu Hause viel Verantwortung übernommen“, sagt Hirschmüller. Jungen, zu denen sie Kontakt hätten, seien eher auffällig geworden, hätten mit aggressivem Verhalten auf ihre Umwelt reagiert.

Auch Betroffene von Essstörungen litten besonders unter Begleiterscheinungen der Pandemie, so Hirschmüller. Binge-Eating-Patienten, die immer wieder Essattacken haben, lernen eigentlich, nur für die nächste Mahlzeit das Essen zu Hause zu haben. Vorratshaltung ist da ein Problem. Doch gerade zu Beginn der Corona-Pandemie war genau diese angezeigt. Man ging möglichst selten in den Supermarkt – kaufte dann entsprechend viel. Das Thema Vorratshaltung habe viele Klientinnen und Klienten belastet. Aber auch der Umstand, stets so nahe an der Küche zu sein. „Sie müssen sich ständig reglementieren, da nicht hinzugehen“, so Hirschmüller. Konflikte innerhalb der Familien hätten sich zugespitzt, weil Eltern genauer hingeschaut, sich die Töchter vielleicht stärker reglementiert gefühlt hätten.

Die drei Anlaufstellen des Gesundheitsladens bieten Beratungen am Standort in der Lindenspürstraße 32 an. Mund-Nasen-Schutz muss bis ins Zimmer zum Platz getragen werden, dann darf er abgesetzt werden. Es wird regelmäßig gelüftet.