Wegen Corona drosselt der Autozulieferer ZF in Friedrichshafen am Bodensee seine Produktion. Foto: ZF Friedrichshafen AG

Auf dem Arbeitsmarkt geht es infolge der Corona-Krise rasant bergab: Wichtigster, wenn auch nicht einziger Rettungsring für die Unternehmen ist die Kurzarbeit. Der Gewerkschaftsbund und die Arbeitgeber streiten über nochmals erweiterte Regelungen.

Stuttgart - Die Kurzarbeit fungiert in der Corona-Krise als wichtiger Rettungsring. Die Bundesregierung rechnet für 2020 mit 2,15 Millionen Betroffenen, wie aus einem unserer Zeitung vorliegenden Verordnungsentwurf des Arbeitsministers hervorgeht – zehn Milliarden Euro könnte dies die Bundesagentur für Arbeit zusätzlich kosten. Neuestes Beispiel ist der Automobilzulieferer ZF am Bodensee, der auch Kurzarbeit vereinbart hat.

„Uns steht das Wasser bis zum Hals“, sagt auch Johannes Schmalzl, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart. Quasi kurz vor dem Ertrinken vieler Unternehmen informiert er am Donnerstag mit der Agentur für Arbeit via Internetstream über das Hilfsinstrument. Die Verwirrung ist riesig. Bis zu 1000 Teilnehmer nehmen teil, was ebenso den hohen Nachfragebedarf beweist wie die vielen Anfragen der vergangenen Tage.

Auch die Arbeitsagentur wird davon überrollt. Sie kann daher nicht sagen, wie viele Anzeigen von Kurzarbeit es im Land derzeit gibt. Um des Andrangs Herr zu werden, muss die Arbeitsagentur wie auch die IHK die Kräfte bündeln: Die Hotlines werden durch Mitarbeiter anderer Bereiche verstärkt. Zudem wird überlegt, Aufgaben an externe Dienstleister zu vergeben, wie Antje Teufel, Bereichsleiterin in der Regionaldirektion der Agentur, sagt.

Warum eignet sich die Kurzarbeit? Erst am vorigen Freitag hat der Bundestag eine erweiterte Regelung für das Kurzarbeitergeld durchgepeitscht, die rückwirkend zum 1. März in Kraft getreten ist. Unternehmen, die seit Anfang März zumindest Teile der Belegschaft in Kurzarbeit geschickt haben, können es sofort beantragen. Voraussetzung ist unter anderem, dass mindestens zehn Prozent der Beschäftigten einen Arbeitsentgeltausfall von mehr als zehn Prozent haben. Günstiger ist nun auch, dass die Sozialversicherungsbeiträge für ausgefallene Arbeitsstunden dem Arbeitgeber zu hundert Prozent erstattet werden. Zudem werden nicht mehr Minusstunden in den Arbeitszeitkonten zur Voraussetzung gemacht.

Was wollen die Gewerkschaften? Reiner Hoffmann, Chef des Gewerkschaftsbundes (DGB), begrüßt im Prinzip die Entschlossenheit der Bundesregierung. „Die Erleichterung des Zugangs zum Kurzarbeitergeld ist wichtig“, sagt er. „Es bedarf aber weitergehender Regelungen zur Aufstockung, um die drohenden Einkommensverluste bei Kurzarbeit abzufedern.“ Weil das Kurzarbeitergeld lediglich 60 Prozent oder (bei Kindern) 67 Prozent des durchschnittlichen Nettoentgeltes beträgt, können viele Menschen mit niedrigen Einkommen davon nicht leben.

  DGB und Arbeitgeber verhandeln mit dem Arbeitsminister und dem Wirtschaftsminister über großzügigere Zuzahlungen. „Während die Arbeitgeber die ansonsten von ihnen zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge vollständig erstattet bekommen, bleibt es für die Arbeitnehmer bei 60 Prozent des Nettolohnes“, heißt es in einer internen Stellungnahme des DGB von Donnerstag. „Diese soziale Schieflage ist für die Gewerkschaften nicht akzeptabel.“ Auch um eine zusätzliche Belastung der Binnenkonjunktur zu vermeiden, „sind diese Lohnlücken sofort zu schließen“. Die Verordnung sei so zu ändern, dass die Arbeitgeber einen Teil der erstatteten Sozialversicherungsbeiträge dazu nutzten, den Lohn der Beschäftigten auf 80 Prozent aufzustocken. Am Montag tagt das Bundeskabinett – bisher sieht es nicht so aus, als könne sich der DGB durchsetzen. Vielmehr soll auf Ministerebene ein „Patt“ herrschen, wie es heißt.

Was fordern die Arbeitgeber? „Im Moment geht es vor allem darum, die Verordnung schnellstmöglich und rückwirkend zum 1. März auf den Weg zu bringen – unsere Unternehmen benötigen Klarheit“, sagt Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeber Baden-Württemberg, unserer Zeitung. Angesichts der Dynamik der Krise komme es vor allem auf zwei Dinge an: „Es muss eine unbürokratische Lösung gefunden werden, und die Unternehmen müssen unbedingt von zusätzlichen Kosten entlastet werden.“ So dürfe die hundertprozentige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge durch die Arbeitsagentur „keinesfalls konterkariert werden durch weitere Aufzahlungen an die Beschäftigten“, so Dick. Wenn Arbeitnehmer durch die Kürzung um etwa ein Drittel ihres Lohns (netto) in Probleme kämen, müsse der Staat einspringen. Denn für die Arbeitgeber bleibe Kurzarbeit ein teures Instrument – selbst bei Erstattung der Sozialbeiträge.

Was geht es den öffentlichen Dienst an? Neu ist, dass auch der öffentliche Dienst tangiert ist. Bisher kannte er Kurzarbeit nicht, weil er von Wirtschaftskrisen nicht so abrupt berührt war. Daher gibt es dazu in den Tarifverträgen keine Regelungen. Dies rächt sich nun, weil auch staatliche Einrichtungen keine Arbeit mehr haben. Die Aufregung ist riesig: Die Beschäftigtenvertreter „stehen bei uns auf dem Matte, weil sie eine Betriebsvereinbarung machen wollen“, sagt Verdi-Landesvize Hanna Binder. Sie rät zur Geduld bis Montag – da soll es mehr Klarheit geben, wenn Verdi und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) darüber beraten. Eine gemeinsame Positionierung im Vorfeld ist offenbar an der VKA gescheitert, worüber es Unmut in der Gewerkschaft gibt.

Es gibt viele betroffene Bereiche, für die nicht schnell genug Tarifverträge vereinbart werden können. Daher strebt Verdi eine Verordnung des Arbeitsministers an, die betriebliche Kurzarbeiterregelungen ermöglicht. Auch dies soll bis Anfang der Woche zwischen den Spitzenverbänden und der Regierung geklärt werden.