Markus Raffel, Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) Göttingen, fliegt mit dem originalgetreuen Nachbau von Otto Lilienthals Doppeldecker über den Strand von Monterey (USA). Foto: DLR/dpa

Ein Fluggerät Otto Lilienthals hat nach 124 Jahren seine Flugfähigkeit erneut unter Beweis gestellt. Das DLR hat den Nachbau eines historischen Doppeldeckers erfolgreich in die Luft gebracht und Lilienthals Angaben damit belegt.

Anklam - Flugzeugenthusiasten haben einen Nachbau des 1895 konstruierten ersten Doppeldeckers der Welt von Otto Lilienthal (1848-1896) zum Fliegen gebracht. Damit hat ein Team des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) auch letzte Zweifel an der Flugtauglichkeit des Gleiters des Luftfahrtpioniers ausgeräumt.

Wissenschaftler seien immer wieder mit der Frage konfrontiert worden, ob der Anklamer Maschinenbauingenieur tatsächlich geflogen sei, oder ob es sich bei den Berichten um Fake News und um Fotomontagen handeln könnte, sagt der Leiter des Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik am DLR, Andreas Dillmann, am Mittwoch in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern).

Im Ikareum des Lilienthal-Museums stellte das DLR Filmdokumente der Flüge von 2018 und vom Juli 2019 in Kalifornien vor.

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„Das entscheidende ist der Flugversuch“

Schon 2016 hatte das DLR die Flugfähigkeit eines originalgetreuen Nachbaus eines Lilienthal-Gleiters im Windkanal in Amsterdam nachgewiesen. „Aber das entscheidende ist der Flugversuch“, erklärt Dillmann.

Pilot Markus Raffel, beim DLR Abteilungsleiter für Hubschrauber-Aerodynamik, erprobte den Nachbau aus authentischen Materialien wie Weidenruten, Baumwollgewebe, Hanfseilen und Stahldraht als Privatmann.

Da Flugversuche mit nicht zugelassenen Geräten in Deutschland verboten sind, wich das Team an die US-Pazifikküste aus. Dort sei der Sand weich und der Wind konstant.

„Die Tests im Windkanal haben offen gelassen, wie der Gleiter bei Start und Landung und bei Windböen reagiert“, so Raffel. Das sei jetzt in der Praxis erprobt worden. Die Flüge dauerten demnach zehn bis 14 Sekunden. Dabei wurden in drei bis vier Metern Höhe Strecken von etwa 100 Metern zurückgelegt.

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Gleiter fliegt ab einer Geschwindigkeit von mehr als zehn Metern pro Sekunde

„Alle Ergebnisse passen perfekt zu den historischen Angaben“, fasst Dillmann zusammen. Der Gleiter fliege ab einer Geschwindigkeit von mehr als zehn Metern pro Sekunde, die man durch Laufen unter Ausnutzung des Gegenwindes und bei einer Hangneigung erreichen könne. Das Baumwollgewebe der Flügel habe Lilienthal imprägniert, so dass es kaum luftdurchlässig war, was ein längeres Gleiten ermöglichte.

Lilienthal habe zudem die V-Stellung der Flügel und das Leitwerk für mehr Stabilität erfunden – alles Dinge, die auch heute im Flugzeugbau genutzt würden. Lilienthals Fluggerät sei durch die Stellung der Beine steuerbar gewesen. Dillmann: „Man kann nur den Hut ziehen, er hat ein vollwertiges Flugzeug hergestellt.“

„Der Körper empfindet den Vogelflug nach“

Raffel gewinnt dem Lilienthal-Gleiter auch Spaß ab. „Man hat den Kopf zwischen den Flügeln, als hätte man selbst Flügel bekommen“, betont der DLR-Experte, der zugleich Professor an der Universität Hannover ist. „Der Körper nimmt in anderer Weise teil, man empfindet den Vogelflug nach.“ Doch das Fliegen sei anstrengend, Lilienthal müsse sehr fit gewesen sein. Den Nachbau des Gleiters übergab das DLR an das Lilienthalmuseum. Der Doppeldecker gilt als erste Serienproduktion eines Flugzeugs: Lilienthal verkaufte ihn neun Mal.

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