Abraham und ein weiterer Flüchtling. Sie wollen unerkannt bleiben. Foto: Knut Krohn

500 Flüchtlinge hausen unter einfachsten Bedingungen in einem Industriegebiet in Calais an der französischen Küste. Ihr Ziel: eine Überfahrt nach Großbritannien.

Calais - Sie sind hier – jeder weiß es, aber niemand spricht darüber. Sie sind unsichtbar, verstecken sich in den Wäldern, meiden das Stadtzentrum von Calais im Norden Frankreichs. Wenn dort ein Flüchtlingslager geräumt wird, beklagen die Hilfsorganisationen eine gezielte Menschenjagd. Die Polizei hingegen sagt, sie tue nur ihre Plicht.

Abraham ist einer jener Gejagten. „Ich habe Eritrea 2014 verlassen“, erzählt er von seiner Odyssee. In seiner Heimat war er auf der Flucht vor dem Regime, in Libyen ist er aus einem Lager von Menschenhändlern getürmt, in Italien vor den Behörden untergetaucht, nach drei Jahren in der Schweiz musste Abraham vor der drohenden Abschiebung fliehen. Der junge Mann beschreibt seine Geschichte ohne Schnörkel und Abschweifungen. Sie ist exakt so lang, dass sie auf eine halbe DIN-A-4-Seite in einen Asylantrag passt.

Einige Flüchtlinge wollen weiter nach Kanada oder in die USA

Abraham lebt seit einem Jahr in Calais. „Es ist okay“, sagt er. Am schlimmsten sei die Hoffnungslosigkeit – und das ewige Versteckspiel vor der Polizei. Wie viele Flüchtlinge neben Abraham in Calais sind, weiß niemand genau. Rund 500 heißt es, warten auf ihre Chance für eine Überfahrt nach Großbritannien, zum Beispiel versteckt unter der Plane eines Lastwagens. Die britische Insel erscheint ihnen als Lösung für all ihre Probleme. Die meisten wollen hin, weil sie dort Bekannte haben, die Sprache sprechen oder hoffen, von dort nach Kanada, Australien oder in die USA zu kommen.

Meist werden die Flüchtlinge in Calais vor einem Einsatz der Polizei gewarnt. „Sie kommen immer am Morgen“, sagt Abraham „wir haben dann wenige Minuten Zeit, unsere Sachen zusammenzusuchen und machen uns schnell aus dem Staub.“ Einige der Flüchtlinge steigen nach der Räumung auch in die wartenden Busse und werden in eines der offiziellen Zwischenlager gebracht, die der französische Staat eingerichtet hat. „Die meisten tauchen aber unter“, sagt Abraham, „wenn du Pech hast, wirst du von dort aus gleich abgeschoben.“ Nach einer Räumung heißt es für die Flüchtlinge, einen neuen Platz für ein Lager zu suchen. Das wird aber immer schwieriger, denn die meisten freien Gelände in Calais sind inzwischen von hohen Zäunen und Stacheldraht umgeben.

Abraham will als Mechaniker arbeiten

Abraham haust seit einigen Tagen auf einer Abraumhalde, neben einem Chemiewerk, von dem ein ätzender Geruch hinüberweht. Zwischen den Hügeln aus Bauschutt haben eine Handvoll Flüchtlinge ihre Zelte aufgeschlagen. Andere behelfen sich mit Plastikplanen, die sie über Äste legen. Abraham steigt auf einen der Schutthügel und zeigt auf eine Gruppe von Arbeitern, die begonnen haben, die Fundamente für einen Zaun zu gießen – ein Zeichen dafür, dass auch hier bald die Polizei anrücken wird.

Als der kalte Wind einen leichten Nieselregen über die Abraumhalde weht, macht sich Abraham auf in Richtung Stadtrand zu „den Katholischen“. Zwischen großen Lagerhallen betreibt die katholische Kirche ein Zentrum, wo Ehrenamtliche den Flüchtlingen helfen. Auf dem Weg erzählt er plötzlich von seinem Traum: Er wolle „in England als Mechaniker arbeiten.“ Einen Plan B hat er nicht. „Ich werde so lange versuchen, nach England zu kommen, bis ich es schaffe.“