Die Venusfliegenfalle ist eine Art von fleischfressender Pflanze Foto: Fotolia/Romana Schaile

Forscher haben eine völlig neue Strategie entdeckt, wie fleischfressende Pflanzen ihre Beute fangen: Sie geben sich erst harmlos und locken die Beute in den gefährlichen Blütenkelch.

Cambridge - Dass eine Kannenpflanze gerne Insekten vertilgt, sollte eigentlich im Dschungel bekannt sein. Und doch hat sie keine Versorgungsschwierigkeiten: Immer wieder rutscht ein Krabbeltier in die kannenförmige Blüte hinein. Forscher dachten bisher, dass es daran liegt, dass der Duft der Pflanze einfach unwiderstehlich betörend sei. Doch offenbar verfügt die fleischfressende Pflanze noch über einen raffinierteren Trick: Ein englisches Forscherteam hat eine Kannenpflanze namens Nepenthes rafflesiana näher beobachtet, die auf Ameisen spezialisiert ist. Dabei zeigte sich, dass sie sich dem Verhalten der Insekten, die Gegend zu erkunden, genau angepasst hat. Haben die Ameisen nämlich eine vermeintliche Futterquelle wie die duftende Pflanzenkanne entdeckt, marschieren sie nicht mit dem kompletten Heer dahin, sondern schicken erst ein paar Späher voraus. Kommen diese nicht zurück, weiß der Rest der Truppe, dass Gefahr im Verzug ist. Pech für den Jäger, der sich nun nur mit ein paar einzelnen Tierchen begnügen muss.

Doch die Evolution ist trickreich: So lässt die Kannenpflanze die Späherameisen erst einmal ungeschoren davonkommen. Diese wiederum signalisieren ihren Artgenossen per Duftmarke, dass sie gefahrlos folgen können. Doch ist die Ameisenschar erst einmal in der Blüte, sind die Wände der Kanne plötzlich schleimig und verwandeln sich in eine Rutschbahn, die den Insekten kein Entkommen lässt.

Die vorherseherischen Kräfte der Pflanze beruhen allerdings nicht auf einer sensorischen Wahrnehmung. Pflanzen haben kein Nervensystem. Die Kannenpflanze kann also nicht spüren, dass nun mehr Ameisen in ihrem Kelch sind als zuvor. Es steckt der Zufall dahinter: Denn normalerweise ist der Schleim der Pflanze trocken und zäh. Kommen gerade in diesem Moment Späherameisen vorbei, haben diese kein Problem damit, entlang des Blütenkelchs zu wandern. Bis die Artgenossen allerdings anrücken, vergeht einige Zeit – meist hat es inzwischen geregnet. Prompt verwandelt sich der trockene Schleim in seifigen Schlick.

Die Wissenschaftler überprüften ihre Beobachtungen, indem sie bei einigen Pflanzenexemplaren den Schleim konstant feucht hielten – und tatsächlich konnten diese nur halb so viel Beute machen wie ihre Artgenossen, bei denen der Schleim zwischen trocken und feucht hin und her pendelte. „Bei ihnen haben wir aus jeder einzelnen Kanne 70 bis 80 Ameisen herausgeholt“, sagt Walter Federle von der University of Cambridge.

Doch auch die Ameisen lernen dazu: So haben die ersten Arten bereits Gegenstrategien entwickelt, um der fleischfressenden Pflanze zu entkommen. Sie schaffen es, für eine Weile im Verdauungssaft der Pflanze zu schwimmen, um sich dann durch die Kannenwand zu bohren. In deren Schutz gründen sie dann eine kleine Kolonie.