Der Tiefbahnhof gewinnt im Schatten des Bahnhofsturms an Gestalt. Die Hälfte der Stützen für das Dachtragwerk sind inzwischen gegossen worden. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Seit Ende 2016 widmen sich mehrere Kanzleien der Frage, wie die so genannte Sprechklausel im Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 gelesen werden muss. Sie könnte 2021 auch das Gericht beschäftigen.

Stuttgart. - Auf der mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21 geschaffenen neuen Infrastruktur sollen Ende 2025 die ersten Züge rollen. Dafür wird fleißig betoniert. Am vergangenen Wochenende feierte der Schienenkonzern am neuen Tiefbahnhof sein Bergfest. Doch auch wenn bis 2025 alles nach Fahrplan läuft: Der Streit um die Finanzierung des von der Bahn AG auf inzwischen 8,2 Milliarden Euro veranschlagten Neubaus zwischen Feuerbach und Wendlingen wird dann voraussichtlich noch nicht erledigt sein.

Die Projektpartner von Bahn, Land, Stadt und Region Stuttgart sowie der Flughafen versichern sich mindestens zweimal jährlich bei Sitzungen des S-21-Lenkungskreises gegenseitig die höchste Wertschätzung. Gleichzeitig kämpfen die Juristen im Hintergrund um beträchtliche Geldwerte, denn die Bahn fordert seit Ende 2016 Milliarden von ihren geschätzten Partnern. Der Betrag kann noch nicht ganz exakt beziffert werden, es geht um eine nicht endende Zahlungsverpflichtung, ums Prinzip. Der Scheck, den die Partner der Bahn ausstellen sollen, müsste für vorerst an die 2,4 Milliarden wenigstens zehn Stellen haben.

Gerichtsakte umfasst bisher 2800 Seiten

Die Juristen nehmen es genau, obwohl es in dem Verfahren nur um die Interpretation eines einzigen Satzes (zwölf Wörter) geht. Die Korrespondenz der Kanzleien, auf Bahnseite Wilmer Hale in Berlin, ist seit der Klageeinreichung Ende 2016 auf bisher 2800 Seiten angeschwollen. Das ist nur die Gerichtsakte. Die Behördenakten, auf die sich die Rechtsvertreter stützten, seien „noch um ein Vielfaches umfangreicher“, heißt es beim in der ersten Instanz zuständigen Stuttgarter Verwaltungsgericht. Dort hat man der Bitte der Bahnanwälte entsprochen. Die Berliner haben nun nicht bis Ende Februar, sondern bis Ende Mai Zeit, ihren nächsten Schriftsatz abzuschließen. Weniger als 200 Seiten werden es kaum werden. Dieses Maß hat sich in dem Verfahren inzwischen als Standard eingebürgert.

Damit wird das Vorspiel zu einem der umfangreichsten und höchstdotierten Verfahren am Verwaltungsgericht nicht abgeschlossen sein. „Es ist selbstverständlich, dass die anderen Beteiligten ebenfalls nochmals Gelegenheit erhalten müssen, sich zum weiteren Vorbringen der Bahn zu äußern“, sagt eine Gerichtssprecherin. Wenn die Rechtsvertreter sich bescheiden, könnte die Nummerierung der Akte im Fall 13 K 9546/16 vielleicht auf Seite 3300 enden.

Eine Million Euro für die erste Instanz

Für die erste Instanz kalkulieren beteiligte Experten zusammengenommen mit Kosten von einer Million Euro – macht pro Seite Schriftsatz etwa 300 Euro. Die Angelegenheit, sagt die Gerichtssprecherin, werde „frühestens im September 2021 spruchreif sein“. Wegen des hohen öffentlichen Interesses und der Coronapandemie könne man die Verhandlung frühestens im 4. Quartal 2021 terminieren. Zur Verhandlung müssten Kontaktbeschränkungen aufgehoben sein.

Auf städtischer Seite vollzieht sich eben ein Wechsel. Die Leiterin der rechtlichen Koordination zu Stuttgart 21 hat sich nach Pforzheim verabschiedet. Die Stelle sei noch nicht wiederbesetzt, heißt es im Rathaus, das solle „so schnell wie möglich erfolgen“. Die oder der Neue wird sich einarbeiten, die Sprechklausel aus Paragraf 8 des am 2. April 2009 geschlossenen S-21-Finanzierungsvertrags deuten. „Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU und das Land Gespräche auf“, heißt es da. Gespräche. Das EIU (Eisenbahninfrastrukturunternehmen) ist die Bahn AG. Sechs Paragrafen zuvor heißt es, wenn bis Ende 2009 klar sei, dass die vereinbarten 4,5 Milliarden nicht reichten, nähmen die Vertragsparteien Verhandlungen auf. Verhandlungen.

Bahn ging ins Risiko

Der damalige Bahnchef Rüdiger Grube hatte Ende 2009 erklärt, S 21 stehe bei 4,9 Milliarden Euro, könne aber auf 4,088 Milliarden „optimiert“ werden. „Wir haben uns entschieden“, so Grube. „Die gerichtliche Klärung gefällt keinem“, sagt der heutige Chef Richard Lutz. Er sähe es gern, wenn der Bund einspränge. Der hat dazu noch keine Seite beschrieben.