500 Besucher kamen zum ersten Finanz-Forum Stuttgart. Im Bild (v. re.) Christoph Reisinger, Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten, Wirtschaftsprofessor Hartwig Webersinke und Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung Foto: Horst Rudel

Was machen wir mit unseren mühsam erarbeiteten Ersparnissen? Das Geld wie früher anlegen und liegen lassen? „Dieses Konzept hat keine Zukunft“, sagt der Ökonom Hartwig Webersinke und fordert: „Anleger müssen sich mehr mit Aktien beschäftigen.“

Stuttgart - Der deutsche Anleger ist schwer zu fassen. Er liebt Festgeld – selbst in Zeiten von null Zinsen. „Seit fünf Jahren bekommen wir nichts mehr dafür“, sagt Hartwig Webersinke, Professor für Finanzdienstleistungen der Hochschule Aschaffenburg. Aktien dagegen, die eine Rendite von sechs, sieben oder acht Prozent ermöglichen, meiden deutsche Anleger aus Angst vor Rückschlägen. Gleichzeitig seien die Menschen hierzulande Europameister in Geschäften am grauen Kapitalmarkt. „Das ist doch verrückt“, sagt Webersinke, Hauptredner beim Finanz-Forum von Stuttgarter Nachrichten und Stuttgarter Zeitung im Haus der Wirtschaft. „Wenn uns einer 25 Prozent verspricht, machen wir das sofort.“

In anderen Ländern ist die Aktie die erste Wahl bei der Anlage. „Amerikaner und Engländer sparen viel weniger, bekommen aber auf das wenige viel höhere Erträge“, weiß der Ökonom. Kursschwankungen bei Aktien können sie offenbar besser aushalten als die Anleger in Deutschland. Die gehen vorzugsweise auf Nummer sicher. „Aber wir müssen aufpassen, dass wir vor lauter Vorsicht unser Vermögen nicht verlieren“, warnt Webersinke. Ein Vermögen für die Altersvorsorge aufzubauen „gelingt nicht mit Festgeld“.

Geldanlage in Zeiten von null Zinsen bereitet vielen Menschen Kopfzerbrechen. „Es klingt wie ein Luxusproblem, hat aber viel zu tun mit Lebensplanung, Vorsorge, persönlicher Sicherheit und Unabhängigkeit“, sagt Christoph Reisinger, Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten, bei der Begrüßung der Leser. Gerade weil Anleger so viel Angst haben, Erspartes zu verlieren, verfolgen sie die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) genau.

Dass negative Zinsen, die Banken auf Einlagen bei der EZB zahlen müssen, auf Sparer abgewälzt werden, davon ist Webersinke überzeugt. „Viele Banken sagen: Niemals negative Zinsen“, so der Ökonom und fügt hinzu: „Wenn das der Vorstand sagt, ist es nicht mehr weit.“ Solange Kreditzinsen immer weiter sinken und Habenzinsen bei 0,2 Prozent liegen, werde die Marge für die Banken immer kleiner, erklärt er. Ein Filialnetz sei so nicht mehr darstellbar.

Draghi rette die Schuldner und enteigne die Gläubiger

Bald, so seine These, würden Anleger Post von ihrer Bank bekommen. Darin wird stehen: Vielen Dank Für Ihre Einlage von 10 000 Euro. Wir erlauben uns, dafür 23 Euro in Rechnung zu stellen. Das Wort Strafzinsen werden die Institute tunlichst vermeiden, stattdessen werde von Wertaufbewahrungsgebühr die Rede sein. „Der Gedanke ist noch gewöhnungsbedürftig“, sagt Webersinke. Er sei aber überzeugt, dass dieser Schritt kommen werde.

EZB-Präsident Mario Draghi mit seiner Politik des billigen Geldes rette die Schuldner und enteigne die Gläubiger, kritisiert der Finanzprofessor. Die Gläubiger zahlen durch entgangene Renditen.

„Wir müssen uns nicht mit null Zinsen zufriedengeben“, beharrt Webersinke und fordert die Leser auf, sich dem Aktien- und Immobilienmarkt zuzuwenden. Beides gehöre in eine langfristige Vermögensstruktur. Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, hakt nach: „An Aktien führt kein Weg vorbei – trotz der hohen Bewertung und der politischen Unsicherheiten?“ Die Antwort des Ökonomen lautet: „Eindeutig Ja.“

Auch bei Dax-Höchstständen über 11 000 Punkten sieht Webersinke noch Potenzial nach oben. „Die Aktie ist nicht mehr billig, aber wir können damit teilhaben am Weltwirtschaftswachstum.“ 3,5 Prozent Wachstum erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) im laufenden Jahr für die Weltwirtschaft.

Deutsche Unternehmen profitieren von starkem Dollar, niedrigen Energiepreisen und niedrigen Zinsen. „Die Krise bietet immer wieder auch Chancen“, betont Webersinke und rät denjenigen, die bisher noch nicht in Aktien investiert sind, „Schritt für Schritt in den Markt hineinzugehen“.

Den einen Tipp, der auf alle Zuhörer passt, den gibt es nicht. „Alter, persönliche Ziele, die Familienstruktur – das alles beeinflusst die Kapitalanlage“, sagt Webersinke. Für den, der mit Aktien gar nichts am Hut hat, werde es 2015 schwierig .