Von einem Tag auf den anderen wird er zum Mörder: Moritz Bleibtreu in „Die dunkel Seite des Mondes“. Foto: Alamode FIlm

Zur Nikolauszeit zeigen die baden-württembergischen Filmemacher in Stuttgart, was sie können. Für großes Kino sorgte zum Auftakt der 21. Filmschau Südwest im Metropol am Schlossplatz ein Absolvent der Ludwigsburger Filmakademie mit dem Psycho-Thriller: „Die Dunkle Seite des Mondes“. Was aber auf der Premiere fehlte, war der Star.

Stuttgart - Die Bolzstraße im Dezember kann ein besinnlicher Ort sein. Nicht draußen, wo Menschen hektisch kreuzen, Düfte, Klänge und Funkeleien des Weihnachtsmarkts nur zu erahnen sind – sondern drinnen: Das Metropol-Kino lockt zur Filmschau, hell illuminiert mit einem Roten Teppich und der Magie der großen Leinwand.

Ganz plötzlich kommt es über ihn: Gerade noch aufstrebender Wirtschaftsanwalt, wird Urs Blank plötzlich einer, der spontan ausrastet und Leute umbringt. Der Wald wird sein Refugium – von dort stammt ein Pilz, der unter die halluzinogenen geraten war, die er mit seiner Freundin genommen hat.

Stephan Rick, Absolvent der Ludwigsburger Filmakademie, zelebriert eine Lust an großen Bildern, die im fernseh-dominierten deutschen Film rar ist. Er dringt tief in den Wald ein, in dem sich das Dunkel in der Seele seines Protagonisten spiegelt: Ein einsamer Wolf, eine Höhle tief unter den Wurzeln, ein Spiel mit Wachen und Träumen, mit der menschlichen Wahrnehmung.

Nur beim Drehbuch klemmt es

Hauptdarsteller Moritz Bleibtreu zeigt sich fokussiert als Mann auf dem Weg in den Wahnsinn, der mit bloßen Händen den Waldboden umgräbt. Nora von Waldstätten spielt den Inbegriff einer jungen Verführerin, die das Dasein in all seinen Facetten umarmt – genau die Richtige, um einen erkalteten Mann zurückzuholen ins Leben. Und Jürgen Prochnow stattet den Business-Patriarchen, der über Leichen geht, mit jenem menschenverachtenden Zynismus aus, den mancher Normalbürger in solchen Positionen vermutet.

Nur beim Drehbuch nach einem Roman von Martin Suter klemmt es ein wenig. Ein Pharma-Skandal und die moralischen Fragen dazu werden angerissen, aber nicht konsequent zu Ende verhandelt. Urs Blanks Defekt bleibt ein Rätsel, wo eine Metaebene sich aufdrängt – doch die physische Brutalität wird nicht verknüpft mit den gnadenlosen Geschäftspraktiken des Patienten.

Stephan Rick kann dennoch zufrieden sein, „Die dunkle Seite des Mondes“ ist ein Nachweis seiner Fähigkeiten in Sachen Inszenierung und Schauspielerführung. „Wir wollten, dass jedes einzelne Bild nach Kino aussieht“, sagt er im ausverkauften Metropol 1 und bekommt verdienten Applaus. Für die Filmschau ist ein Werk mit solcher Bildmacht ein Glücksfall, denn der große Kinofilm fristet im Land der Effekt- und Animations-Spezialisten eher ein Nischendasein.

„Was uns fehlt, ist ein Werbe-Etat“

Was am Mittwoch fehlte, war der Star: Moritz Bleibtreu wollte kommen“, sagt Filmschau-Leiter Mahn, „wir hatten seine Zusage. Aus privaten Gründen war es ihm dann kurzfristig nicht möglich, anzureisen.“ Aus seiner Sicht ist die Filmschau in einer Situation wie früher das Trickfilm-Festival: „Wir hatten rund 300 Einreichungen, und mussten viel ablehnen – wir könnten deutlich mehr zeigen. Das Potenzial ist deutlich erkennbar, aber man müsste den nächsten Schritt gehen. Die Leute, die kommen, sind überwiegend begeistert, aber viele wissen einfach nicht, dass es die Filmschau überhaupt gibt. Was uns fehlt ist ein Werbe-Etat – dann könnte wir aus der Filmschau ein Festival machen, das über die Landesgrenzen hinausstrahlt.“

Carl Bergengruen, Leiter der MFG-Filmförderung, ohne deren Hilfe kaum ein größeres Projekt im Südwesten realisiert wird, kokettiert auf der Metropol-Bühne: „Mehr Geld? Das machen wir nach zwölf.“ Zugleich begrüßt er ausdrücklich diese große Bühne für die geförderten Filme, genau wie vor ihm Kunst-Staatssekretär Jürgen Walter. Und Birgit Schneider Bönninger, Leiterin des Kulturamts der Stadt Stuttgart, sagt: „Die Filmschau ist unverzichtbar für unsere Kultur.“

Immer wieder wird die Wurzel des Erfolges beschworen: „Dank an die Filmakademie“, sagt Dustin Loose, Gewinner eines Studenten-Oscars 2015 für seinen Diplomfilm „Erledigung einer Sache“. Der Zwanzigminüter läuft als Vorfilm und erzählt als konzentriertes Kammerspiel von einem Dilemma: Ein nervöser junger Mann triff auf Wunsch seiner verstorbenen Mutter erstmals seinen in der Psychiatrie einsitzenden Vater, und es entrollt sich eine unheilvolle Vergangenheit. „Ich muss immer noch um meine Projekte kämpfen“, sagt Oscar-Preisträger Loose, „der Unterschied ist: Jetzt hört man mir zu.“

Die Nachwuchsförderung funktioniert

Als Erfolgsmodell entpuppt sich der Jugendfilmpreis, der am heutigen Donnerstag eröffnet wird: „Er ist nun kein Filmschau-Anhängsel mehr, sondern wirklich ein eigenes Festival“, sagt Mahn. „Die intensive Betreuung der Jugendlichen zahlt sich aus, dass sie diese Bühne bekommen, dass man sie ernstnimmt.“ Die ersten Jugendfilmpreisträger studieren nun schon an den Filmhochschulen des Landes: „Der Trend ist eindeutig, die Nachwuchsförderung funktioniert“, ist Mahn überzeugt. Was der Nachwuchs kann, ist an diesem Donnerstag um 17.30 Uhr im Metropol-Kino zu begutachten.

Mahns Empfehlung? „Herbert“ von Thomas Stuber. „Peter Kurth spielt darin einen gereiften Boxer, der schwer erkrankt und sein Leben ins Reine bringen muss. Das ist exzellent inszeniert und gespielt.“ Stuber hat mit seinem Ludwigsburger Diplomfilm „Von Hunden und Pferden“ (2011) den Studenten-Oscar gewonnen und gilt als großes Talent. Man darf also gespannt sein auf seinen ersten großen Spielfilm – zu sehen an diesem Samstag um 20 Uhr im Metropol-Kino, das im Dezember durchaus ein besinnlicher Ort sein kann.