Die chinesische Genre-Romanze „Ash is purest White“ von Jia Zhangke ist ein gelungenes Gesellschaftsporträt Nordchinas im 21. Jahrhundert. Foto: Xstream Pictures/MK Productions/Arte

Das Filmfestival in Cannes in Zeiten von #metoo: Filmemacherinnen haben am Wochenende mit ihrem Kampf um Gleichberechtigung für Wirbel gesorgt. Und immerhin gab es mit Eva Hussons Film „Les filles du soleil“ endlich auch mal einen Wettbewerbsbeitrag unter weiblicher Regie zu sehen. Aber auch Filme von Jafar Panahi, Jia Zhangke und Jean-Luc Godard standen auf dem Programm.

Cannes - Nie war die Aufmerksamkeit für die Benachteiligung weiblicher Filmschaffender größer als in Zeiten von #metoo und #timesup, doch auch in diesem Jahr sind beim Filmfestival von Cannes wieder nur drei Regisseurinnen im Wettbewerb vertreten. Am Samstagabend nun liefen in Cannes 82 Frauen Arm in Arm über den roten Teppich, um auf den Treppenstufen vor dem legendären Festivalpalast schweigend gegen systematische Ungerechtigkeit innerhalb der Branche zu protestieren. „Frauen sind auf dieser Welt nicht in der Minderheit, doch die gegenwärtige Situation in der Filmindustrie verkündet anderes“, hieß es in einem Statement, das Jury-Präsidentin Cate Blanchett auf Englisch und Ehren-Oscar-Gewinnerin Agnès Varda auf Französisch verlasen. „Als Frauen stehen wir alle vor unseren ganz eigenen Herausforderungen, aber wir stehen heute gemeinsam auf diesen Stufen als Symbol für unsere Entschlossenheit und unser Engagement für den Fortschritt.“

Husson erzählt von Kriegerinnen, die gegen den IS kämpfen

Die Anzahl der 82 Frauen, zu denen auch Blanchetts Jury-Kolleginnen gehörten, „Wonder Woman“-Regisseurin Patty Jenkins, Salma Hayek, Marion Cotillard oder die Online-Aktivistin Melissa Silverstein von der Seite womenandhollywood.com, war dabei nicht zufällig gewählt: So viele Frauen durften in der Geschichte des Festivals um die Goldene Palme konkurrieren, verglichen mit 1688 Männern im gleichen Zeitraum.

Im Anschluss an dieses eindrückliche symbolträchtige Ereignis feierte dann auch der erste von einer Frau inszenierte Film des diesjährigen Wettbewerbs seine Premiere: „Les filles du soleil“ der Französin Eva Husson, deren erster Film „Bang Gang“ es nie in die deutschen Kinos schaffte. Man hätte sich, zumal an diesem Abend, einen großen Wurf gewünscht, doch davon kann leider nicht wirklich die Rede sein. Husson erzählt nach wahren Begebenheiten von Kriegerinnen, die 2014 in Kurdistan gegen den IS kämpft.

Sie konzentriert sich dabei auf die Anführerin Bahar (Golshifteh Farahani) und leider auch auf eine begleitende französische Journalistin (Emmanuelle Bercot), die als Figur bloß ein Plot-Vehikel bleibt, das diese erschütternde und bemerkenswerte Geschichte nicht gebraucht hätte. Dank Letzterer entwickelt „Les filles du soleil“ durchaus emotionale Wucht, und Husson gelingen einige eindrückliche, dicht inszenierte Szenen. In der Überbetonung von Mutterschaft als Motivation rutscht sie allerdings etwas zu oft in naive Klischees und Kitsch ab, wo eine gewisse Nüchternheit ohne Frage wirkungsvoller gewesen wäre.

Zhanke zwischen Gangsterfilm und Melodrama

Infolgedessen dominierten am ersten Festivalwochenende dann doch wieder die Männer das Geschehen, nicht zuletzt die an der Croisette altbekannten. Der Chinese Jia Zhangke etwa, mit „Ash is purest White“ bereits zum fünften Mal im Wettbewerb vertreten, wusste zu überzeugen, allen voran, weil seine Ehefrau und Muse Zhao Tao in der Hauptrolle zu großer Form aufläuft. Sie spielt die Geliebte eines leidlich einflussreichen Gangsterbosses (Liao Fao) in der Provinz Shanxi, und das erste Drittel des Films, in dem man noch den Eindruck hat, der Regisseur würde die Selbstermächtigung einer Frau als humorvolles Stück Genre-Kino inszenieren, ist ohne Frage das aufregendste.

Als „Ash is purest White“ dann doch den Weg eines Melodramas einschlägt (und damit nach Pawel Pawlikowskis beeindruckendem Schwarz-Weiß-Drama „Cold War“ und Christoph Honorés durchwachsenem „Sorry Angel“ schon die dritte tragische Romanze in diesem Wettbewerb erzählt), wird aus der Geschichte eher eine über das Überleben im Angesicht stetiger Desillusionierung. Doch vor allem hinterlässt der gegen Ende etwas nachlassende Film, nach dem man stundenlang den alten Disco-Hit „Y.M.C.A.“ im Ohr hat, bleibenden Eindruck als Gesellschaftsporträt Nordchinas im 21. Jahrhundert.

Godards neuer Film gleicht einer Installation

Auch der Iraner Jafar Panahi nimmt seine Heimat mal wieder sehr genau unter die Lupe und verwebt in „Three Faces“ erneut Fiktion und Realität zu einem dichten Netz der Gesellschaftskritik. Nach dem Erhalt eines Handyvideos, das den vermeintlichen Selbstmord einer jungen Frau zeigt, machen sich Panahi (der sich selbst spielt) und die Schauspielerin Behnaz Jafari (auch sie verkörpert sich selbst) mit dem Auto von Teheran auf in die Provinz, um herauszufinden, was passiert ist. Visuell ist der überwiegend aus Gesprächen bestehende Film unspektakulär, was natürlich auch an den dürftigen Mitteln liegt, die dem mit einem Reise- und Arbeitsverbot belegten Panahi zur Verfügung stehen. Doch gerade aus dieser Schlichtheit entwickelt das selbstreflexiv-melancholische Bild seine Kraft, das er vom Leben im Iran mit seinen patriarchalen Strukturen zeichnet, an denen Frauen (und somit auch Schauspielerinnen) immer wieder scheitern müssen.

Anders als Panahi freiwillig auf die Reise nach Cannes verzichtet hat der Altmeister Jean-Luc Godard, dessen „Le livre d’image“ ebenfalls im diesjährigen Wettbewerb zu sehen ist. Von der Form herkömmlicher Spielfilme wie seinem Nouvelle-Vague-Klassiker „Elf Uhr nachts“, dem das diesjährige Festivalplakat huldigt, hat er sich längst verabschiedet: Sein jüngstes Werk erinnert eher an eine Installation, eine experimentell-essayistische Collage aus Standbildern und Filmausschnitten, Youtube-Propaganda und Soundeffekten, immer wieder durchzogen von bisweilen kryptischen, selbst eingesprochenen Texten.

Das Werk scheint ein aus winzigsten Videoschnipseln zusammengesetzter Einblick in die durchaus sprunghaften Gedanken des 87-jährigen Godard zu sein, die irgendwie um Terror, das Verhältnis von Text und Bild oder den katastrophalen Zustand der Welt kreisen. Das mochte man faszinierend finden oder unverständlich, verstörend war es allemal. Und dass der Eigenbrötler Godard sich am Samstag für eine Pressekonferenz per Facetime auf einem iPhone aus der Schweiz zuschalten ließ, war dazu die passende Pointe.